Walter Ulbricht (German Edition)
Grenztruppen und den Ausbau der Staatsgrenze.
Alle wichtigen Unterlagen über die Staatsgrenze einschließlich der Minenfelder befanden sich beim Stab der GSSD.
Es gab keinen sowjetischen Regimentskommandeur, Divisionskommandeur oder Armeebefehlshaber, der nicht regelmäßig mit den Offizieren der DDR-Grenztruppen »seinen Grenzabschnitt« inspiziert hätte. 70 Prozent der an der Grenze der DDR zur BRD eingesetzten Grenztruppen wären im Verteidigungsfalle den sowjetischen Kommandeuren und 30 Prozent den Divisionskommandeuren der NVA unterstellt worden.
Da die 45.000 Angehörigen der Grenztruppen der DDR, auch wenn sie im Frieden nicht zu den Vereinten Streitkräften gehörten, in ihren operativen Plänen zu den Gefechtselementen gezählt wurden und ihre konkreten Aufgaben hatten, wurden in den Befehlen und Direktiven des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte konkrete Aufgaben für die Verteidigung und Sicherung der Staatsgrenze und für das Zusammenwirken der Landstreitkräfte mit den Grenztruppen gestellt. Aus diesem Grund nahmen die Grenztruppen an gemeinsamen Übungen der Sowjetarmee und der Nationalen Volksarmee teil.
Der Oberkommandierende der Vereinten Streitkräfte und sein Stab waren immer durch den Vertreter des Oberkommandierenden bei der NVA der DDR über die Lage an der Staatsgrenze und über schwerwiegende besondere Vorkommnisse im Grenzgebiet informiert. Dieser sowjetische General, der den Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages bei der NVA vertrat und im Verteidigungsministerium der DDR arbeitete, erhielt jeden Tag um 8.00 Uhr die operative Tagesmeldung, nahm an allen Kollegiumssitzungen und Kommandeurstagungen in der DDR teil und hatte das Recht, Kontrollen in den Teilstreitkräften und bei den Grenztruppen in der DDR durchzuführen.
Nun war doch aber die DDR ein souveräner Staat …
Die DDR war ein souveräner Staat, Mitglied der UNO und von 138 Staaten diplomatisch anerkannt. Sie war auf allen Gebieten souverän – aber nach unserer Einschätzung nicht auf militärpolitischem und militärischem Gebiet. Dafür gab es zwei Gründe. Erstens: die exponierte militärgeografische Lage der DDR in Europa als Vorposten des Warschauer Vertrages und die dortige Präsenz einer 500.000 Mann starken, in ihrer Kampfkraft unvergleichlichen Elitegruppierung der sowjetischen Truppen, ausgerüstet mit modernster Bewaffnung und Ausrüstung einschließlich von Kernwaffen auf dem Territorium der DDR. Dadurch bedingt verlief der vordere Rand der ersten strategischen Verteidigungslinie der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages entlang der Staatsgrenze der DDR und der BRD. Deshalb hatte die sowjetische Seite auch das militärische Sagen auf dem Territorium der DDR.
Zweitens: die feste Eingliederung der DDR und ihrer bewaffneten Organe in die Militärorganisation des Warschauer Vertrages sowie die Einbindung der NVA und der Grenztruppen der DDR im Verteidigungsfalle in die Front der GSSD, die von Moskau gestellte Aufgaben zu erfüllen hatte. Deshalb war die Organisation der Landesverteidigung der DDR, deren Stärke, Bewaffnung, Ausrüstung, Dislozierung und Ausbildung stets den Ausgangsorientierungen aus Moskau untergeordnet.
Diese beiden Faktoren und andere zum Teil noch aus der Besatzungszeit rührende Fragen waren die Ursachen dafür, dass die DDR auf militärisch-politischem Gebiet nicht souverän war.
Wenn ich Sie also richtig verstehe, war weder Walter Ulbricht noch die DDR zu irgendeinem Zeitpunkt in der Grenzfrage Herr des Geschehens?
Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen war sowohl die politische als auch die militärische Führung der DDR nicht frei in ihren Entscheidungen. Die Führung der DDR konnte an der Grenze zur BRD und zu Westberlin eigenständig nichts unternehmen. Jegliche Veränderung der Ordnung an der gemeinsamen Grenze der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages erforderte die Abstimmung mit ihm, das heißt mit den höchsten Organen seiner Teilnehmerstaaten. Alleinige Entscheidungen der Führung der DDR in diesen Fragen waren ausgeschlossen, da Alleingänge die Interessen des Warschauer Vertrages berührt und ihn dadurch bedroht hätten. Das wäre von Vertragsmitgliedern, in erster Linie von der Sowjetunion, niemals zugelassen worden.
11 Eine Funktion des Zweiten Sekretärs des ZK der SED hat es offiziell nie gegeben. Diese Bezeichnung wurde allenfalls intern geführt, weil Honecker unter Ulbricht die Tätigkeit des
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