Walter Ulbricht (German Edition)
Sekretariats leitete.
12 Vgl. »Schreiben von Marschall der Sowjetunion Kulikow und Armeegeneral Gribkow« in: Klaus-Dieter Baumgarten und Peter Freitag (Hrsg.), Die Grenzen der DDR . Geschichte, Fakten, Hintergründe, Berlin 2005, S. 8-12
Kunststück
Hartmut König
»Also du bist der, der immer die Lieder macht?«
Hartmut König, Jahrgang 1947, Abitur mit Berufsausbildung als Kühlanlagenbauer. Nach dem Volontariat beim » Neuen Deutschland « Journalistikstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig von 1967 bis 1971, 1974 Promotion. König spielte bei »Team 4« (später »Thomas Natschinski und seine Gruppe«) von 1964 bis 1971 und beim »Oktoberklub« (1966-1973). Nach einer Tätigkeit als Chefredakteur beim Internationalen Studentenbund in Prag wurde er Sekretär des Zentralrats der FDJ (1976) und Mitglied der Kulturkommission beim Politbüro (1979). Dem ZK der SED gehörte er seit 1981 als Kandidat an, ab 1986 als Mitglied. 1989 wurde er Stellvertretender Kulturminister. Nach dem Ende der DDR arbeitete er bis 2010 bei einem Zeitungsverlag in Brandenburg.
I m Oktober 1968 erhalte ich vom Mitglied des Staatsrates Hans Rodenberg einen Anruf, ich möge ihn im Amtsgebäude besuchen. Es ginge um das Singen unter der Jugend.
Ich fahre also mit der U-Bahn zum Alex und laufe in Richtung Marx-Engels-Platz. Habe eine Bahn verpasst und bin spät dran. Als ich Rodenbergs Büro erreiche, werde ich zu Recht erzogen: »Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.« Der Gastgeber hat eine sonore Stimme. Ich weiß, dass er Schauspieler war und mit der Intendantin des Theaters der Freundschaft verheiratet ist. Er fragt interessiert nach meinem bisschen Biografie. Dafür erzählt er Episoden aus seiner fünf Jahrzehnte längeren Lebenszeit. Spannende, berührende Geschichten. Am Ende ist er Staatsratsmitglied und sagt, warum er mich eingeladen hat.
Genosse Hartmut! Wir freuen uns, wie sehr das Singen mit neuer Frische zur Jugendkultur gehört. Du bist uns ein Exponent dafür. Wir werden eine Staatsratstagung zu den Aufgaben der Kultur abhalten. Und der Genosse Ulbricht möchte dich als Teilnehmer dabei haben. Otto Gotsche wird dir eine Einladung in den Hausbriefkasten stecken lassen.
Sie ist schon da, als ich nach Hause komme. Das Kuvert mit dem Staatswappen ragt übermütig aus dem Schlitz, man hätte es klauen können.
Auch zur Staatsratstagung starte ich auf den letzten Drücker. Alle Teilnehmer sind schon auf ihren Plätzen, die Gänge menschenleer. Mit dem Zeigerschlag finde ich den Tagungssaal. Hans Rodenberg empfängt mich verärgert. Man sitzt spätestens »fünf vor« auf seinem Platz. Und milder: Da du der jüngste Teilnehmer bist, nimmst du bitte zum Essen am Tisch vom Genossen Ulbricht Platz.
Und wo ist das?
Du läufst einfach den anderen hinterher.
Die Tagung beginnt.
Das meiste von dem, was verhandelt wird, werde ich vergessen. Nur das verstörte Gesicht von Wolfgang Heinz nicht. Er ist Intendant des Deutschen Theaters und hat gerade mit Adolf Dresen Regie bei einer Aufsehen erregenden Faust I-Inszenierung geführt. Nun will eine Gruppe um Alfred Kurella wissen, in welches modernistische Deutungsdilemma der große Renaissance-Mensch Faust am sozialistischen Staatstheater geraten sei. Der Mime und Theaterleiter von unbestrittenem Rang antwortet mit unterdrückter Wut. Die Arbeit an einem Stück sei mit der Premiere nicht abgeschlossen. Daraufhin kommt Entspannung in die Runde, in der ich viele berühmte Künstler erkenne, die man sonst nur in der Zeitung, in DEFA-Filmen oder im Fernsehen sieht.
Zur Pause suche ich das Kabinett mit den zwei Buchstaben in der Richtung, die dem Strom der Tagungsteilnehmer entgegengesetzt ist. Das ist ein Irrtum, und ich komme, man ahnt es, als Letzter in den Speisesaal. Walter Ulbrichts Tischrunde ist bereits ins Gespräch vertieft. Das heißt: alle außer ihm. Kulturminister Klaus Gysi und Anna Seghers, die ihm zu beiden Seiten am nächsten, aber mit jeweils reichlichem Abstand platziert sind, plaudern im Oval mit den anderen. Walter Ulbricht hingegen blickt auf einen leeren Stuhl ihm gegenüber. Der ist symmetrisch, also mit gleich großer Distanz, zu seinen Nachbarstühlen gestellt. Das ist der freie Platz, der mir zugewiesen wird. Die Suppe ist serviert.
Walter Ulbricht hat eine Nudel im Bart. Man vermutet im berühmten Gesichtshaar unserer Nummer 1 keine Nudel. Loriots Sketch, der mich später an die Begegnung erinnern wird, ist noch nicht auf dem Zelluloid. Der
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