Walter Ulbricht (German Edition)
können, weil dann der Bündnisfall eingetreten wäre. Die Grenzsicherungsmaßnahmen 1961 klärten die Verhältnisse. Vor diesem Hintergrund wurden Entspannungspolitik, Verträge und Abrüstungsgespräche erst möglich. Es war eine friedenssichernde Maßnahme.
Auch wenn es eine richtige Entscheidung des Bündnisses war, wobei natürlich wir als Führungsmacht das entscheidende Wort sprachen, so bezog allein Ulbricht dafür die Prügel. Er wurde im Westen angegriffen. Bis auf den heutigen Tag wird er verleumdet und steht als »Mauerbauer« und »Lügner« in vielen Geschichtsbüchern. Das geht zu großen Teilen auf unser Konto. Wir hätten damals und später deutlich sagen müssen: Nicht Ulbricht und nicht die DDR haben die Grenzmaßnahmen am 13. August 1963 veranlasst, sondern der Warschauer Vertrag. Ulbricht lag, um in unserer Sprache zu reden, im ersten Schützengraben und zog das Feuer auf sich. Und dort haben wir ihn leider lange allein kämpfen lassen.
Sie haben im Juni 1996 ein Schreiben 12 an das Landgericht Berlin gerichtet, das auch Armeegeneral Gribkow – er war von 1976 bis 1989 Chef des Stabes der Vereinten Streitkräfte – unterzeichnete. Sie erteilten darin den deutschen Juristen Nachhilfeunterricht in Geschichte, als diese gegen Grenzsoldaten der DDR und Mitglieder des Politbüros vorgingen.
Sagen wir so: Wir wollten politische und geschichtliche Zusammenhänge sichtbar machen. Die »innerdeutsche Grenze« hatte Mitte der 50er Jahre aufgehört zu existieren. Mit dem am 9. Mai 1955 vollzogenen Beitritt der BRD in die NATO und dem Beitritt der DDR am 15. Mai des gleichen Jahres in die Organisation des Warschauer Vertrages war nicht nur die Spaltung Deutschlands endgültig zementiert. Diese Grenze war auch die sensible Trennlinie zwischen den beiden mächtigen militärischen Gruppierungen, deren zuverlässige militärische Sicherung eine erstrangige Bedeutung hatte.
Deshalb darf man die Ereignisse an dieser Grenze in den Jahren von 1961 bis 1989 nicht aus dem historischen Kontext des Kalten Krieges und der ständigen Konfrontation der bedeutenden militärischen Potentiale herauslösen, die die Lage auf unserem Kontinent in dieser Periode kennzeichneten.
In den seit 1961 gängigen Darstellungen über Ulbricht und seinen Beitrag am »Mauerbau« wird so getan, als sei er allein dafür verantwortlich, einige Historiker verstiegen sich sogar zu der Behauptung, er habe Moskau gedrängt, wenn nicht gar gezwungen, diese Maßnahme zu ergreifen.
Alle wichtigen Entscheidungen, die mit den Problemen der Verteidigung der DDR einschließlich der Grenzsicherung im Zusammenhang standen, wurden unter Berücksichtigung der Interessen der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages getroffen. Deshalb waren auch die Sicherungsmaßnahmen vom 13. August 1961 in Berlin das Ergebnis eines Beschlusses des Politisch Beratenden Ausschusses der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages. Diese Grenze und die Grenzsicherungsmaßnahmen hatten in der Periode des Kalten Krieges eine große Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Friedens in Europa. Deshalb wurde von unserer, von sowjetischer Seite, immer aktiv und wirksam Einfluss auf alle Grenzsicherungsmaßnahmen genommen, der pioniermäßige Ausbau der Staatsgrenze eingeschlossen.
Ausgehend davon wurden die Fragen des Grenzregimes sowohl durch Vereinbarungen zwischen der DDR und der UdSSR als auch im Rahmen des Warschauer Vertrages geregelt. Die DDR als unser wichtigster Verbündeter hat sich immer und mit großer Disziplin im Interesse unseres Bündnisses den »Empfehlungen« und »Bitten«, die faktisch Weisungen darstellten, untergeordnet.
Wie sah der »aktive und wirksame Einfluss auf alle Grenzsicherungsmaßnahmen« konkret aus?
Das Oberkommando der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages war immer über Stärke, Struktur, Bewaffnung und Ausbildung der Grenztruppen der DDR sowie alle Grenzsicherungsmaßnahmen einschließlich des pioniermäßigen Ausbaus der Staatsgrenze informiert. Auf Weisung der sowjetischen militärpolitischen Führung haben wir aktiv Einfluss auf diese Maßnahmen genommen. Da die Nationale Volksarmee und die Grenztruppen der DDR im Verteidigungszustand dem Oberkommandierenden der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland unterstellt worden wären und im Bestand der von ihm geführten Front ihre Aufgaben zu erfüllen gehabt hätten, nahmen das Oberkommando und der Stab der Vereinten Streitkräfte Einfluss auf die Ausbildung der
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