Walter Ulbricht (German Edition)
etwas verbesserten Genrebildern zu zeigen, sondern auch in der Monumentalkunst. Bei allen Fortschritten, die sich inzwischen bei der Vereinigung von Architektur und bildender Kunst ergeben hätten, stehe die Lösung der wichtigsten Aufgabe noch bevor, nämlich ganz große Werke zu schaffen, von denen man sagen könne, in ihnen habe das sozialistische Staatsbewusstsein und die zukunftstragende Kraft der Arbeiterklasse gültigen künstlerischen Ausdruck gefunden.
Die Beratung nahm ihren Fortgang, und Achim hatte manchmal Mühe, ihr zu folgen, immer wieder fühlte er sich abgelenkt, da es nicht selten geschah, dass er über den Sinn mancher Sätze in den Vorträgen, wollte er sie voll verstehen, nachzudenken gezwungen war und somit den Anschluss an die Fortführung des Gesagten verpasste. Die Reden, befand er, waren manchmal derart hochgestochen, dass er sie gern und sofort in ein schlichteres Deutsch übersetzt hätte, so zum Beispiel erging es ihm bereits bei dem Maler aus Halle, und er fragte sich noch lange, was der denn mit den »Genrebildern der Biedermänner« gemeint haben könnte. Achim war ohnehin eher ein visueller denn ein akustischer Typ, was man von Leuten sagt, deren Aufmerksamkeit besser über die Augen als über die Ohren gewonnen wird, und so griff er hier und dort auch zum Kugelschreiber, notierte sich dieses und jenes und nahm sich vor, zu Haus in Ruhe darüber nachzulesen: präsumtive Partisanen!
Plötzlich schreckte er auf. Diesem Begriff war er schon einmal begegnet, und bei dem Wort »präsumtiv« hatte er gestutzt, war ihm nachgegangen, da er es nicht kannte, hatte im Lexikon nach ihm gesucht, denn er hätte ja auch nicht gewusst, wie es zu schreiben sei. So viel wie »vermutlich«, fand er heraus, sollte es bedeuten, also »wahrscheinlich angenommen«, und im Zusammenhang mit Schriftstellern gebraucht, wie damals so auch heute, erhielt es fast einen bedrohlichen Klang: Schriftsteller sind präsumtive Partisanen.
Soeben hatte sich Alfred Kurella, einst Emigrant im sowjetischen Exil und zuletzt langjähriger Leiter der Kulturkommission beim Zentralkomitee, dieses Begriffes bedient, und vor ein paar Wochen war es der für Verlage und Buchproduktion verantwortliche Minister gewesen, als über die Veröffentlichung des druckfertigen Manuskripts von Achims Roman »Schatten des aufgehenden Lichts« gestritten worden war. Zwar waren inzwischen längere Auszüge in Literaturzeitschriften erschienen, so dass man sich, Leser sowohl als auch Kritiker, von Form und lnhalt des Textes ein Bild machen konnte. Die Entscheidung des Ministeriums aber, das Buch für den Druck freizugeben, ließ auf sich warten, indem immer wieder neue Einwände erhoben wurden. Einmal nahm man Anstoß an der Gestaltung des 17. Juni 1953, ein andermal wurde von sogenannten, jedoch streng sich im Hintergrund haltenden Gutachtern bemängelt, dass der Roman eine insgesamt traurige Stimmung verbreite, und schließlich wurden auch Streichungen und Änderungen von ihm verlangt, die er jedoch strikt ablehnte. Daraufhin hatte er, wegen dieses, wie er es sah, sehr zögerlichen Umgangs mit den Mühen von Autoren, auch einen Brief an den Staatsrat geschrieben, Ende November und zu Händen (besser müsste man wohl sagen: zu Augen) des Vorsitzenden, Walter Ulbrichts.
Nun rang er mit sich, ob er sich nicht zu Wort melden sollte, um davon zu berichten. Denn das Büro des Vorsitzenden hatte ihm zwar geantwortet, höflich und noch vor Ablauf der Gesetzesfrist, so dass er das Kuvert mit dem Staatswappen im Briefkasten unter der Weihnachtspost fand, aber lediglich mitgeteilt, seine Beschwerde sei zur Bearbeitung an das Ministerium für Kultur weitergeleitet worden. Wenn er sich jetzt aber meldete, das war ihm klar, durfte er es bei diesem, seinem persönlichen Anliegen nicht bewendet sein lassen. Mehr noch, er müsste mit etwas viel Größerem beginnen, mit Höherem im politisch-geistigen Sinne, und so war er gerade beim Überlegen, suchte den klugen Anfang, als ihn die rauchig-tenorige Stimme Ulbrichts aus den Gedanken riss.
»Haben Sie keine Angst«, sagte er, »niemand hat die Absicht, ja?, Ihnen in Ihr künstlerisches Schaffen hineinzupfuschen, Ihnen von unserer Seite, des Staates und der Partei, Vorschriften zu machen, wenn es sich um Fragen der literarischen oder bildnerischen Gestaltung handelt. Das, ja?, das überlassen wir den Künstlern selbst.«
Er hielt inne, unterbrach sich kurz, und da seine Rede offenbar als Replik auf einen
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