Walter Ulbricht (German Edition)
Ulbricht der Praktiker. Beide ergänzten sich hervorragend. Ihnen waren die Interessen der Werktätigen wichtigstes Anliegen.
Wie kam es zur Gründung des Staatsrats?
Nach dem Tod von Präsident Wilhelm Pieck 1960 wurde der Staatsrat durch Verfassungsänderung in der Volkskammer beschlossen. Faktisch war er das kollektive Staatsoberhaupt der Republik. In ihm waren die Repräsentanten aller Parteien und Massenorganisationen vertreten. Insofern war er eine große staatliche Koalition aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte der DDR.
Interessant ist für mich noch heute die politische Begründung. Das Gesetz zur Bildung des Staatsrates begann so: »Getragen von der großen Verantwortung für die Erhaltung des Friedens, für die sozialistische Zukunft der Deutschen Demokratischen Republik, zur weiteren Festigung und Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung und zur Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer und einheitlicher Staat wird die Bildung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik beschlossen.«
Präsident Wilhelm Pieck ist in der Erinnerung vieler wegen seiner gütigen, väterlichen Art haften geblieben. Ulbricht hatte es als Staatsratsvorsitzender schwer, sich diese Anerkennung zu erarbeiten. Wie hast du diese Zeit in Erinnerung?
Rundfunk und später auch Fernsehen waren ja grenzüberschreitend. Die westlichen Medien taten alles, um Ulbricht zu diskreditieren. Als Vorwand nutzten sie Äußerlichkeiten, etwa seine krankheitsbedingte hohe Stimme und seinen starken sächsischen Dialekt. Tatsächlich griffen sie aber seine Politik an. Sie wussten, dass er strategisch dachte und handelte, was gut für die DDR und den Sozialismus war. Von der Bevölkerung wurde Ulbricht nach meiner Wahrnehmung zunehmend als Landesvater anerkannt.
Du hast ihn bei Auslandsreisen begleitet. Wie verhandelte er?
Walter Ulbricht konnte sehr diplomatisch sein, aber auch sehr direkt, wenn es um die Interessen der DDR ging. Er war stets gut vorbereitet und informierte sich vorher über die konkreten Probleme zwischen der DDR und dem jeweiligen Besuchsland. Das galt ins besondere für die RGW-Länder.
Du hast ihn auf zwei Reisen begleitet, die damals Aufsehen erregten: 1965 nach Ägypten, 1964 nach Jugoslawien. Wie kam er mit Präsident Nasser klar?
Es hat mich beeindruckt, wie gut sich der Kommunist Ulbricht und der Nationaldemokrat Nasser miteinander verstanden. Sie bezeichneten sich gegenseitig als Freunde. Das war damals auch insofern ein Novum, weil die Bundesrepublik noch die Hallstein-Doktrin pflegte und alles unternahm, um die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu verhindern. Ägyptens Präsident Nasser lehnte sich also, wie man heute sagen würde, weit aus dem Fenster.
Ohne Titos solidarische Unterstützung hätte die Reise nach Ägypten nicht stattfinden können, da die Westmächte keine Überfluggenehmigung über NATO-Staaten erteilten. Daher blieb nur der Seeweg. Tito war bereit, die »Völkerfreundschaft« zur Reise nach Ägypten von Dubrovnik aus auslaufen zu lassen.
Wie hast du die Begegnungen zwischen Ulbricht und Tito in Erinnerung?
Jugoslawien gehörte zu den ersten zehn Staaten, die die DDR nach ihrer Gründung am 7. Oktober 1949 völkerrechtlich anerkannten. Josip Broz Tito und Walter Ulbricht kannten sich aus der Emigration in Moskau. Sie wohnten dort gemeinsam mit Wilhelm Pieck und dessen Töchtern im Hotel Lux. Eleonore Staimer, eine Tochter Wilhelm Piecks, sollte später die DDR als Botschafterin in Jugoslawien vertreten. Sie wusste um die Vorliebe des jugoslawischen Präsidenten für deutsche Schäferhunde und schlug deshalb Ulbricht vor, Tito beim Staatsbesuch 1964 zwei Schäferhundwelpen zu schenken. Sie begründete ihren Vorschlag mit der Geschichte, dass dem Partisanengeneral während der faschistische Besatzung ein deutscher Schäferhund zugelaufen sei, der ihm nicht von der Seite wich und sich während eines Gefechtes opferte: Er hatte Tito umgeworfen und dabei den Schuss abgefangen, der den Oberbefehlshaber der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee treffen sollte.
Dem Vorschlag folgte Walter Ulbricht. Die Hunde hatte Tito später immer in seiner Nähe. Der eine war in Belgrad, der andere auf Brioni.
Hast du persönliche Erinnerungsstücke von deinem Chef?
Anlässlich meines zwanzigjährigen Dienstjubiläums bei ihm als persönlicher Mitarbeiter überreichte er mir am 1. Dezember 1970 ein Anerkennungsschreiben. Ich besitze auch noch einen
Weitere Kostenlose Bücher