Walter Ulbricht (German Edition)
Wagen von uns als Vorauskommando vorweg, den Schluss des Konvois bildete unser Nachkommando. Es gab etliche Termine auf dem Hradschin, Begegnungen mit Werktätigen, Kranzniederlegungen, Empfänge und andere protokollarische Verpflichtungen.
Was war für dich das Aufregendste dabei?
Ganz ehrlich?
Selbstverständlich.
Die Verpflegung. Sechs Jahre nach dem Krieg gab es noch nicht viel zu essen, die Lebensmittel waren rationiert und wurden nur auf Karte abgegeben. Die tschechoslowakischen Gastgeber versorgten uns, wir fühlten uns – wie man so sagt – wie Gott in Frankreich. Bei der Abreise erhielt jeder Personenschützer von den Pragern ein paar Schuhe und einen Mantel geschenkt. Wir waren ihnen unendlich dankbar.
Wann bist du Ulbricht wieder begegnet?
Keine fünf Wochen später. Am 8. Dezember 1951 wurde mit einem Staatsakt im Admiralspalast die Deutsche Bauakademie eröffnet. Ich war in der Loge mit Präsident Pieck, Walter Ulbricht und Berlins Oberbürgermeister Friedrich Ebert sowie dem Akademie-Präsidenten Kurt Liebknecht. Der Architekt war der Enkel von Wilhelm Liebknecht und Neffe Karl Liebknechts. Er sollte zehn Jahre der Einrichtung vorstehen, die bis 1973 in der Hannoverschen Straße saß. Dann zog dort die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland ein. Heute ist es der zweite Dienstsitz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der erste befindet sich unverändert in Bonn.
Heinz Eichler
Äußerst korrekt und mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn
Heinz Eichler, Jahrgang 1927, kommunistisches Elternhaus, Vater Kämpfer gegen den Faschismus, kaufmännische Lehre bis zur Einberufung zum Reichsarbeitsdienst, kurzzeitig US-Kriegsgefangenschaft, 1945 KPD, 1946 SED, 1946/47 Besuch der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät, von 1947 bis 1950 Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Leipzig, Diplomwirtschaftler, von 1950 bis 1956 Mitarbeiter im Sekretariat Ulbricht, danach, bis 1960, Studium an der Parteihochschule in Moskau, anschließend persönlicher Referent des Vorsitzenden des Staatsrates, von 1971 bis 1990 Sekretär des Staatsrates und Mitglied des Präsidiums der Volkskammer.
D u kanntest Walter Ulbricht bereits, als er Erster Stellvertreter von Ministerpräsident Otto Grotewohl war. Bis zu seinem Tod warst du sein persönlicher Referent bzw. Sekretär des Staatsrates. Wie war er als Chef?
Bevor ich die Frage beantworte, möchte ich klarstellen, dass es sich ausschließlich um meine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen handelt, die ich hier wiedergebe. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die andere Auffassungen vertreten und andere persönliche Erlebnisse mit dem Namen Walter Ulbricht verbinden.
Aber zur Frage, wie er als Chef war: äußerst korrekt. Er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Mir imponierte, dass er es verstand, Details immer in einen entsprechenden gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Seine Aufgabenstellungen waren konkret.
Persönlich bin ich ihm erstmals im Februar 1951 begegnet. Otto Gotsche, damals Leiter seines Sekretariats, stellte mich ihm vor. Ich habe Eingaben aus der Industrie und Landwirtschaft bearbeitet. Vorschläge und Kritiken aus der Bevölkerung nahm er sehr ernst.
Hattest du auch Begegnungen außerhalb der Arbeit mit ihm?
1960 weilte ich mit meiner Frau auf eigene Kosten zu einer Kur auf der Krim. Eines Tages rief mich sein Dolmetscher Werner Eberlein an und holte mich ab. Walter Ulbricht, der sich ebenfalls auf der Krim befand,wollte mich sehen. Er interessierte sich für die Lebenslage der Sowjetbürger. Zum Schluss unserer Unterredung verabschiedete er mich mit den Worten: »Alles Gute, beste Gesundheit und Erfolg in deinem Studium und auf ein Wiedersehen in Berlin.« Damit war für mich klar, wo ich nach meinem Studium arbeiten würde.
Man sagt, Ulbricht ging mit dem vertraulichen »Du« sehr sparsam um. Wie war das in eurem Verhältnis?
Mich sprach er, wie das in der SED üblich war, mit »Du« an. Ich sagte »Genosse Walter« zu ihm.
Wie war das persönliche Verhältnis zwischen Regierungschef Grotewohl und seinem Ersten Stellvertreter?
Bedenkt man, dass beide aus unterschiedlichen Strömungen der Arbeiterbewegung kamen, sie wegen ihres Beitrages zur Vereinigung von KPD und SPD zur SED unter permanenter Kritik aus dem Westen standen und selbst einem maßlosen Arbeitsdruck unterlagen, dann kann man nur bewundern, mit welch gegenseitigem Respekt sie sich begegneten. Grotewohl war mehr der Schöngeist,
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