Walter Ulbricht (German Edition)
nur ökonomisch unabhängig vom Mann werden, sondern sich selbst als kreative Menschen verwirklichen konnten. Natürlich waren wir nicht blauäugig und bemerkten sehr wohl, dass manche Leiter es sich einfach machten und die Frauentagsfeier als Feigenblatt für unterlassene Förderung der Frauen und ihr vorhandenes Unverständnis für deren Probleme benutzten. Auch und gerade deshalb gab es jedes Jahr einen Aufruf von Partei und Regierung zum Internationalen Frauentag. Dieser enthielt regelmäßig eine kritische Bilanz und die Aufforderung zur Lösung der jeweils aktuellen Aufgaben. So wurde es den Verantwortlichen erschwert, das von manchen ungeliebte Thema der Frauenförderung in Vergessenheit geraten zu lassen.
Dem Anlass angemessen wurde die internationale Solidarität mit den Frauen der Welt hervorgehoben, besonders mit denen, die unter Krieg, Verfolgung, brutaler Ausbeutung und wirtschaftlicher Rückständigkeit zu leiden hatten.
Ulbricht hielt uns stets zum Blick über den nationalen Tellerrand an. Solidarität wurde bei den Frauen der DDR mit großen Buchstaben geschrieben, und ihre internationalistische Hilfe war in aller Welt hoch geschätzt. Der Demokratische Frauenbund (DFD) war allseits geachtetes Mitglied in der internationalen Frauenförderation (IDFF), die ihren Sitz in der Hauptstadt der DDR hatte. Ich greife jetzt etwas vor in Ereignisse, die schon nach dem Ableben Walter Ulbrichts lagen, aber unverkennbar Resultat der von ihm begründeten Frauenpolitik der SED und der DDR waren.
Das Jahr 1975 war durch die UNO zum Internationalen Jahr der Frau proklamiert worden, wodurch vielfältige Aktivitäten in unterschiedlichen Ländern ausgelöst wurden. Die Weltorganisation der Staaten und Völker brachte damit zum Ausdruck, dass die Stellung der Frau im Leben einer konkreten Gesellschaft dringend veränderungsbedürftig war. Das verstärkte in erheblichem Maße die Arbeit der Frauenorganisationen. Es kann gut und gerne als eine besondere Wertschätzung des DFD bezeichnet werden, dass der Weltkongress im internationalen Jahr der Frau vom 20. bis 24. Oktober 1975 unter dem Motto »Gleichberechtigung – Entwicklung – Frauen« in Berlin durchgeführt wurde.
Es war auch Walter Ulbricht, der die Tradition begründete, am 8. März jeden Jahres mehrere hundert der tüchtigsten Frauen aus allen Bezirken und allen gesellschaftlichen Bereichen nach Berlin zu einer festlichen Zusammenkunft einzuladen. Das war keine Showveranstaltung. Für die teilnehmenden Frauen war es eine Würdigung ihrer Leistungen, und sie wussten dies zu schätzen. Vor allem aber waren sie ein Weckruf zur weiteren Realisierung der Frauenpolitik. In den Reden des Staatsoberhauptes wurde ihnen nicht geschmeichelt, sondern der Rücken gestärkt für ihr Engagement bei der Durchsetzung ihrer Rechte.
Eine sehr diffizile Aufgabe, an der die Frauenkommission zu arbeiten hatte, war die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper. Mir persönlich war in guter Erinnerung, dass ich gemeinsam mit meiner Mutter meine Großmutter im Gefängnis besucht hatte, die dort mehrere Jahre einsaß. Warum? Sie hatte in einigen Fällen jungen Frauen, vor allem Arbeiterfrauen, geholfen, unerwünschte Schwangerschaften nicht austragen zu müssen. Das war natürlich strafbar. Irgendwann wurde sie denunziert und musste dafür schwer büßen. Junge Frauen in Not hatten eine Helferin weniger. Selbstverständlich war dies keine Lösung des Problems, denn viele Frauen starben an den Folgen unprofessioneller Hilfe oder erlitten gesundheitliche Schäden.
An dem Problem haben wir auch in der DDR lange gearbeitet. Es begann unter Ulbricht und wurde in Gesetzesform gegossen, als Erich Honecker schon Erster Sekretär des ZK der SED war. Das »Gesetz zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches« wurde von der Volkskammer der DDR am 9. März 1972 verabschiedet. Aus Glaubensgründen hatten sich 14 Abgeordnete der CDU-Fraktion dagegen entschieden, acht enthielten sich der Stimme. Erstmals in der Rechtsgeschichte wurde für den Schwangerschaftsabbruch eine Fristenregelung eingeführt. Den Medizinern wurde Aufklärungs- und Beratungspflicht auferlegt, nicht nur den Abbruch, sondern auch die Schwangerschaftsverhütung betreffend. Aufklärung und Behandlung waren kostenlos.
Das Bemerkenswerte an diesem Gesetz war aber etwas anderes. Die Entscheidung der Frau für einen Abbruch der Schwangerschaft in einer Frist von zwölf Wochen nach der Befruchtung wurde als ein Recht der Frau
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