Walter Ulbricht (German Edition)
heutigen Sicherheitsaufwand bei Staatsbesuchen oder auch beim Schutz der hiesigen Politiker mit entsprechenden Maßnahmen der DDR vergleichst, wie fällt dann dein Urteil aus?
Unvergleichbar. Der Aufwand in der DDR war wesentlich geringer. Ich möchte sagen: Er war normaler. Mein Kommando hatte maximal sechs Genossen. Wenn der Staatsratsvorsitzende unterwegs war, begleiteten ihn zwei Fahrzeuge, je eins vorn und eins hinten. Im Urlaub fuhr er manchmal sogar nur mit einem Pkw. Wenn er außerhalb spazieren ging, war ich in seiner unmittelbaren Nähe, ein zweiter Mann ging voraus und ein dritter folgte uns.
Frau Merkel glaubt sich zu erinnern, sie sei als Kind oder Jugendliche in den Ferien in Dierhagen gewesen und habe sich über den abgesperrten Strand am Regierungsgästehaus geärgert.
Unsinn. Der Strand vor dem Erholungsheim des Ministerrates war frei zugänglich. Die Urlauber konnten ungehindert am Wasser flanieren. In Richtung Neuhaus gab es sogar einen FKK-Strand. Wenn wir am Strand wanderten, sind die Ulbrichts auch daran vorbeigegangen. Mit der Nacktheit hatten sie keine Probleme. Sie waren doch nicht verklemmt. Sie kamen aus der Arbeiterbewegung. Ich war drei oder vier Mal mit Familie Ulbricht in Dierhagen. Dort war immer alles ziemlich normal.
Hat Walter Ulbricht dort auch Leute angesprochen?
Selbstverständlich. Ohne Scheu, ja. Wie steht’s, wie geht’s, wo kommt ihr her, wo seid ihr untergebracht, seid ihr zufrieden? Ist die Versorgung gut? Etc. Er nutzte solchen vordergründig unpolitischen Smalltalk, um etwas über die Stimmung im Land zu erfahren, ungefiltert und ungeschönt. Daran war ihm immer sehr gelegen. Und das geschah auch nicht mit landesväterlicher Herablassung, etwa: Ich bin der Ulbricht und ihr seid meine Untertanen, nun erzählt mir doch mal, wie glücklich und zufrieden ihr seid. Ihn interessierte nicht der Schuh, sondern die Stelle, wo er drückte. Und das spürten die Leute auch. Ulbricht war wahrlich kein sehr geselliger Mensch, aber er war sehr kommunikativ.
Wie waren so seine Ansprüche?
Bescheiden. Sein persönliches – nicht das politische – Leben organisierte vor allem seine Frau Lotte. Bis hin zum Speisenplan. Und vor allem: Sie hat stets alles bezahlt. Die beiden ließen sich nichts schenken. Alles wurde korrekt abgerechnet. Zum Mittagessen gab es oft ein Glas Beaujolais. Wenn wir in der Sowjetunion waren, kaufte ich dort Chwantschkara, einen georgischen Rotwein. Auch darum hat sich seine Frau gekümmert. So etwas beschäftigte ihn nicht.
Unterschied sich der Tagesablauf im Urlaub von der übrigen Zeit des Jahres?
Nicht unbedingt. Früh machte er Sport. Dann ging man spazieren bis zum Mittagessen. Danach hat er geruht und sehr viel gelesen. Wenn er im Ausland zum Urlaub war – in der Sowjetunion oder Polen – brachten wir ihm einmal pro Woche die wichtigste Post, er hat sie schnell durchgesehen. Ich übernachtete an Urlaubsort. Er gab mir dann die Antworten mit. Als Kuriere flogen wir Linie, es gab keinen Regierungsflieger, der täglich die Kurierpost brachte.
Wo machte er Urlaub?
Meist in Oberhof und Dierhagen. Im Ausland waren wir in Pizunda und Sotschi. In Barwycha bei Moskau kurten sie.
Es gibt Veröffentlichungen, in denen behauptet wird, vor dem Rücktritt Walter Ulbrichts von seiner Funktion als Erster Sekretär sei ein bewaffnetes Sicherheitskommando nach Dölln gefahren, habe ihn unter Hausarrest gestellt und zum Rücktritt gezwungen. Du warst sein Sicherheitsbegleiter und weißt besser Bescheid als die Gerüchtemacher.
Die ganze Sache ist ausgesprochener Quatsch! Leider hat auch Markus Wolff solchen Unsinn verbreitet. Was ihn dabei geritten hat, weiß ich nicht. Wenn man so viel mit einem Menschen zusammmen ist, wie ich mit Ulbricht war, dann spürt man gelegentlich auch, was in ihm innerlich vorgeht. Dass es möglicherweise um den Rücktritt meines Chefs ging, vermutete ich schon lange. Seit mindestens einem Jahr gab es mehrere Gespräche zwischen ihm und Breshnew.
Eine solche Frage wie die Veränderung an der Spitze der Partei, wurde nicht über Nacht entschieden und schon gar nicht mit Waffengewalt. Das war ein langer Prozess. Im Übrigen: Ohne Breshnew wäre ein Rücktritt Ulbrichts gar nicht möglich gewesen. Ich kannte Breshnew gut. Wir hatten beide am gleichen Tag Geburtstag und er hat mit mir bei jedem Zusammentreffen auch gesprochen. Wir haben manche Zigarette zusammen geraucht. Es mag ja sein, dass er Vorbehalte gegenüber Walter Ulbricht
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