Walter Ulbricht (German Edition)
und Stoph gespickt, und er kritisierte Ulbricht und dessen Auffassungen häufig, ohne dessen Namen auch nur einmal zu nennen.
Das war für die meisten Anwesenden zwar etwas irritierend, aber sie ahnten nicht den Hintergrund, während Werner Kalweit, der neben mir saß, und ich sofort verstanden, dass die Ablösung Walter Ulbrichts bereits beschlossene Sache war. Denn ich wusste, dass Hager eine hohe Meinung von Walter Ulbricht hatte, wohingegen er Erich Honecker für weit weniger befähigt hielt, um mich hier vorsichtig auszudrücken.
Hagers Auftritt diente also weniger dazu, uns über das ZK-Plenum zu informieren, als vielmehr dazu, Honecker seiner Loyalität zu versichern.
Wie konspirativ der Vorgang eingefädelt worden war, konnte ich auch daraus ersehen, dass Lene Berg, die ZK-Mitglied war und in jener Zeit in der Redaktion der internationalen Zeitschrift Für Frieden und Sozialismus eine wichtige Funktion bekleidete, zwar an der Tagung des ZK teilgenommen hatte, aber völlig ahnungslos war. Ich weilte im Januar 1971 zu einer Besprechung in der Redaktion der Zeitschrift in Prag und besuchte sie in ihrer Wohnung. Sie fiel aus allen Wolken, als ich ihr sagte, dass nun die Ära Walter Ulbricht leider vorbei sei und ich mit Skepsis unserer Zukunft unter dem kommenden Ersten Sekretär entgegensehe.
Das sei ganz unmöglich, erwiderte sie erregt, denn davon war auf der ganzen Tagung des ZK überhaupt keine Rede. Auf ihre Frage, wie ich auf eine solche Idee käme, zählte ich ihr alle Indizien auf, die darauf hindeuteten, dass die Würfel bereits gefallen waren. Darauf wurde sie sehr nachdenklich und meinte, wenn sie es richtig bedenke, habe sie auch schon einige Zeitlang recht merkwürdige Verhaltensweisen im »Großen Haus« erlebt, sich darauf aber keinen Reim machen können.
Ulbricht wehrte sich zwar, doch da die Mehrheit des Politbüros sich bereits den stärkeren Bataillonen angeschlossen hatte, blieb ihm keine Wahl, und er stimmte dem Rücktritt zu. So wurde Erich Honecker, den er lange Zeit als Nachfolger aufgebaut und favorisiert hatte, dann aber doch für ungeeignet hielt, das begonnene Reformwerk fortzusetzen, zum Ersten Sekretär gewählt. Damit war das gesamte von Ulbricht konzipierte Reformprogramm, das der sozialistischen Gesellschaft eine größere Entwicklungsfähigkeit verleihen konnte, beendet. Der Nachfolger kehrte sehr schnell – ganz im Einvernehmen mit Breshnew – zu den in der Sowjetunion bewährten Strukturen und Funktionsmechanismen zurück, erklärte alle grundlegenden Einsichten und konstruktiven Überlegungen Ulbrichts für falsch und versuchte, auf jede denkbare Weise dessen Leistungen herabzusetzen und zu diskreditieren.
Das führte in der SED zu einer großen Verunsicherung, denn es war schwer zu verstehen, weshalb alles, was bisher als richtig gegolten hatte, plötzlich verkehrt sein sollte.
Im Gegensatz zu der Auffassung, dass der Sozialismus eine relativ selbständige Gesellschaftsformation von langer Dauer sei, erklärte Honecker in mehreren öffentlichen Reden, dass wir uns dem Kommunismus bereits näherten und unsere Generation noch im Kommunismus leben würde.
Überhaupt wurde im innerparteilichen Sprachgebrauch nun immer mehr »sozialistisch« durch »kommunistisch« ersetzt, als ob terminologische Regelungen etwas an der gesellschaftlichen Realität ändern würden. Im Gegensatz zu der Politik Ulbrichts, den kleinen und mittleren privaten Betrieben und Unternehmen sowie den gemischten halbstaatlichen Unternehmen eine lange Entwicklungsperspektive zu gewähren und die damit verbundenen Schichten immer mehr in die sozialistische Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren, beseitigte Honecker diese Betriebe vollständig und ließ sie in großen Kombinaten aufgehen, obwohl diese an deren Produktion überwiegend kein Interesse hatten.
In Bezug auf die komplizierte und sensible nationale Problematik verließ Honecker ebenfalls die längerfristig angelegte vorsichtige Politik. Er erklärte, dass die Geschichte über die nationale Frage in Deutschland bereits endgültig entschieden habe, denn in der DDR existiere die sozialistische Nation, die mit der kapitalistischen Nation der BRD nichts verbinde.
Alle abrupten Wendungen aufzuzählen, geht über mein Anliegen hinaus, deshalb mag das Obige genügen, um das völlig unterschiedliche Herangehen des Nachfolgers gegenüber seinem Vorgänger zu charakterisieren. Doch der hiermit verbundene Bruch macht auf ein ernsthaftes
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