Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
Vom Netzwerk:
geben würden. Das musste zwangsläufig zu einer inhaltlichen Einengung führen.
    Und noch ein Faktum veranlasste ihn zur Kritik. Die Grenze in Berlin war offen. So kamen denn auch Besucher aus Westberlin und versuchten die Foren zu stören, indem sie provozierende Fragen stellten und uns Diskussionen aufzwangen, die wir nicht brauchten. Das sollte sich die FDJ nicht gefallen lassen, meinte er. Irgendwann wurden diese zentralen Jugendforen durch thematische ersetzt, was nicht nur ich bedauerte.
    1961 waren wir beide 1. Bezirkssekretäre der FDJ, du in Berlin und ich in Rostock. Anfang Juli rief mich Horst Schumann an. Der 1. Sekretär des FDJ-Zentralrats beauftragte mich, dich auf einem Campingplatz im Bezirk Rostock aufzuspüren, wo du mit deiner Familie im Urlaub warst. Du solltest sofort nach Berlin zurückkommen, weil am 14. August 1961 eine Kundgebung mit Walter Ulbricht stattfinden sollte. Wie war das damals?
    Dass am 14. August 1961 eine Kundgebung auf dem Potsdamer Platz stattfinden sollte, war im Politbüro des ZK der SED beschlossen worden. Dieser Beschluss hat uns mehr als überrascht. Im Sommer 1961 spitzten sich die Ereignisse in und um Berlin zu. Unzufrieden mit der Situation in der DDR und den Verheißungen des Westens folgend, verließen zahlreiche Bürger die DDR. In Berlin hatten wir es mit dem sogenannten Grenzgängerproblem zu tun, d. h. in Westberlin gingen manche Berliner zur Arbeit und im Ostteil der Stadt wohnten sie und profitieren vom Schwindelkurs. Ein Ärgernis, das so manchen Hauptstädter auf die Palme brachte.
    In dieser Situation fasste man also den Beschluss, eine Jugendkundgebung mit Walter Ulbricht aus Anlass des 90. Geburtstages von Karl Liebknecht abzuhalten. Auf dem Potsdamer Platz hatte Liebknecht 1916 seine bekannte Antikriegsrede gehalten, nach der er inhaftiert und als Vaterlandsverräter verurteilt wurde.
    Die geplante Veranstaltung beendete nicht nur meinen Urlaub, sondern bescherte mir auch schlaflose Nächte. Der Ort unmittelbar an der Sektorengrenze schien mir nämlich nicht gerade für Kundgebungen geeignet.
    Wegen der Maßnahmen am 13. August 1961 fiel die geplante Veranstaltung ins Wasser. Im Politbüro-Protokoll aus diesen Tagen heißt es lapidar: »Der Beschluss über die Durchführung einer Jugendkundgebung in Berlin wird aufgehoben.« Später vermuteten wir, dass das Ganze ein Ablenkungsmanöver war. Heute wissen wir, dass die Grenzsicherungsmaßnahmen am 13. August 1961 zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Jugendkundgebung weder Walter Ulbricht noch irgendwem sonst in der Parteiführung bekannt gewesen sein konnten. Die Entscheidung darüber fiel in Moskau in der ersten Augustwoche.
    In Vorbereitung des VI. Parteitages 1963 hatte Walter Ulbricht sechs FDJ-Funktionäre zu sich eingeladen. Er leitete das Treffen mit den Worten ein, er sei ein alter Mann, solle aber auf dem Parteitag auch zur Jugend sprechen. Deshalb wolle er genau wissen, was die Jugend denke und was sie vom Parteitag erwarte. Du und ich waren damals dabei. Zeitzeugen sagen, dass solche Runden zum Arbeitsstil Ulbrichts gehörten. Kannst du das bestätigen?
    Dieser Arbeitsstil imponierte mir. Seine häufig benutzte Wendung »Sprechen wir ganz offen darüber« machte von vornherein klar, dass es ihm nicht um schöngefärbte Berichte, sondern um Probleme und brauchbare Vorschläge ging. Auch eine Beratung im Sommer 1963 zur Vorbereitung des Jugendkommuniqués verlief nicht anders. Zugegen waren weitere Politbüromitglieder, Minister, Wissenschaftler, Betriebsleiter, Journalisten und wir FDJ-Funktionäre. Ohne Umschweife kam Walter Ulbricht zur Sache und stellte fest, dass die Umstellung der Jugendarbeit nicht zügig genug vorankomme und die Hauptprobleme nicht genügend erörtert würden.
    In der darauffolgenden Debatte kamen die verschiedenen Sichten zu Problemen der Jugend zur Sprache, die teilweise konträr waren. Ulbricht, der sich auf Zwischenfragen beschränkte, teilte schließlich mit, dass sich das Politbüro erneut mit Jugendfragen beschäftigen werde. Es sei ein Jugendkommuniqué geplant, die Jugendkommission werde direkt dem Politbüro und ihm persönlich unterstellt. Unter Federführung von Kurt Turba, dem Chefredakteur der Studentenzeitung forum , solle eine Arbeitsgruppe einen Entwurf formulieren, der dem Politbüro vorgelegt werden solle.
    Es fiel auf, dass sich Ulbricht nicht – wie das oft üblich war – vorwiegend auf den Parteiapparat stützte, sondern auf Journalisten,

Weitere Kostenlose Bücher