Walter Ulbricht (German Edition)
sei: Lernen, lernen und nochmals lernen! Das hatte ich nach Ulbrichts Rede verinnerlicht.
Mich hat damals erstaunt, was er zum Verhältnis der Studenten zu den bürgerlichen Wissenschaftlern gesagt hat. Manchen Zuhörern, die ein wenig sektiererisch veranlagt waren, hat das gar nicht gefallen. Wie hast du dies aufgenommen?
Auch ich habe als 20-Jähriger diese Passagen zwiespältig aufgenommen. Zwar hatten wir an der ABF erfahrene Dozenten, Studienräte der alten Schule mit humanistischer Gesinnung und hohen Fachkenntnissen. Wir verdanken ihnen sehr viel. Durch sie fand ich beispielsweise den Zugang zur klassischen deutschen Literatur und drang mit ihrer Hilfe in die Geheimnisse der Naturwissenschaften ein. Sie schätzten ihrerseits unseren Wissensdrang.
Auf der anderen Seite waren uns abfällige Äußerungen von Professoren und Dozenten nicht verborgen geblieben, die das »Eindringen« von uns in ihre akademischen Gefilde keineswegs guthießen. Nach ihrem Verständnis gehörten wir dort nicht hin.
Wir begegneten den alten akademischen Gepflogenheiten und Traditionen, die wir zumeist gar nicht so gut fanden und gern durch »proletarische Traditionen« ersetzt hätten, mit gleicher Ablehnung. Doch Ulbricht bremste uns merklich und verlangte von uns, den Professoren und Dozenten, die nicht unsere Weltanschauung teilten, dennoch die notwendige Achtung entgegenzubringen. Trotz ihrer Vorbehalte gegenüber unserer Politik würde die DDR alles tun, auch ihre materiellen Lebensverhältnisse zu verbessern. Selbst wenn heute noch mancher von ihnen bösartige Bemerkungen über uns und über die DDR machte, würden sie in einigen Jahren davon überzeugt sein, dass unser Weg richtig sei. Ulbricht war sichtlich von Optimismus erfüllt.
Ich gestehe, dass ich damals das Grundsätzliche beim Umgang mit den bürgerlichen Wissenschaftlern nicht im vollen Umfang erfasst habe.
Seit 1954 warst du FDJ-Funktionär in Berlin. Es gab die in der ganzen Republik bekannten Jugendforen »Auf jede Frage eine Antwort« und andere interessante Veranstaltungen. Ulbricht nahm an vielen davon teil. Und er war sportbegeistert. Du hast, wenn ich mich recht erinnere, auch gegen ihn Volleyball gespielt. Wie war er als Sportler?
Aktiv und fair. Seine Wurzeln hatte er bekanntlich in der Arbeitersportbewegung. In Berlin entstand zu meiner Zeit der »Treffpunkt Olympia«. Hier trafen Spitzenathleten der DDR mit Jugendlichen zusammen und trieben gemeinsam Sport. An einem dieser Treffen nahmen Walter Ulbricht und Alfred Neumann teil. Beide redeten nicht nur über die Bedeutung des Sports, sondern machten kräftig mit. Alfred Neumann wetteiferte mit dem DDR-Meister im Kugelstoßen und schmetterte die Kugel über die für uns damals unerreichbare Weite von über 14 Metern. Walter Ulbricht trat zum Volleyballspiel an. Seine Aufforderung »Jeder Mann an jedem Ort: einmal in der Woche Sport« hat er anlässlich dieses Treffens nicht nur verkündet, sondern auch selbst beherzigt.
Im Winter habe ich Walter Ulbricht in Pankow auf der Eisbahn erlebt, wie er gemeinsam mit seiner Frau Lotte seine Runden drehte. In Oberwiesenthal traf ich ihn, als er den großen Hang am Fichtelberg mit Skiern hinabkurvte. Ich weiß, dass er mit dem DDR-Meister im alpinen Skisport, Eberhard »Ebs« Riedel, das Wedeln übte. Ganz ohne Zweifel war für Walter Ulbricht das Sporttreiben von Jugend an ein Bedürfnis.
Und wie war das mit den Jugendforen?
Walter Ulbricht hatte einen ausgesprochenen Sinn für neue interessante Formen der Jugendarbeit. Er ermunterte uns entsprechend. Allerdings achtete er auch darauf, dass alles in die »richtige Richtung« lief. Als ich auf einer Konferenz der SED über neue Formen der Jugendarbeit sprach, handelte ich mir von ihm einen Zwischenruf ein. Er meinte, neu seien einige unserer Initiativen schon, aber ob sie auch »richtig« seien, bezweifle er.
Dazu gehörten auch die Jugendforen, die nicht seinen uneingeschränkten Beifall fanden. Jugendliche standen Schlange, um in den Saal zu kommen, der Zuspruch war riesig. Freilich lebten die Veranstaltungen von solchen Persönlichkeiten wie Gerhart Eisler, der an allen Foren teilnahm und mit Humor und Schlagfertigkeit keine Antwort schuldig blieb. Er wusste selbst Provokationen geschickt zu parieren. Das kam immer gut an.
Walter Ulbricht meinte jedoch, dass niemand auf jede Frage eine Antwort haben könne. Man müsse Fachleute gewinnen, die auf thematischen Foren konkrete Antworten auf konkrete Fragen
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