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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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wieder zu Amt und Würden kamen. Im »Kampf gegen den Kommunismus« im Kalten Krieg machten sie weiter, wo sie 1945 hatten aufhören müssen: Richter, Militärs, Geheimdienstler, Politiker … Zur eigenen Entlastung führte Bonn Angriffe auf die DDR, indem behauptet wurde, dass an führenden Stellen der DDR ja ebenfalls Nazis säßen. Es sollte auf diese Weise der antifaschistische Charakter der DDR infrage gestellt werden. Das tut man ja noch heute: Schau ins Internet unter Wikipedia – bei den biografischen Einträgen zu Funktionären der DDR wird gleich zu Beginn auf eine vermeintliche Mitgliedschaft in der NSDAP verwiesen. Und gleich danach heißt es dann: Eintritt in die KPD oder SED. So suggeriert man Kontinuität und bedient das Verdikt »Braun gleich Rot«.
    Als meine Biografie in der Westpresse hochgekocht wurde, luden mich die Genossen vom Zentralkomitee – dem ich bereits als Mitglied angehörte – beunruhigt vor und fragten, wie sich das mit der NSDAP verhalte. Ich sagte, dass ich davon nichts wisse, ich sei nie Mitglied der Nazipartei gewesen. Ich war in der HJ wie wohl die meisten, ich lebte damals in einem Dorf in Thüringen mit 800 Einwohnern, wenn man nicht zu den Pimpfen gegangen wäre, wäre man geächtet worden. Die Nachprüfungen ergaben: Unser Lehrer, NSDAP-Ortsgruppenleiter und eingefleischter Nazi, der uns in Uniform unterrichtete, wollte glänzen und hatte alle seine ehemaligen Schüler aus dem Dorf, als sie 18 wurden, ohne deren Kenntnis als Mitglieder der NSDAP eintragen lassen. Ich hatte davon keine Ahnung, zumal ich wenig später zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Mein Vater war Kommunist, der hätte mich aus dem Haus geprügelt, wenn dies eine wissentliche und willentliche Entscheidung von mir gewesen wäre. Aber bei Wikipedia steht wahrheitswidrig: »1942 wurde er Mitglied der NSDAP.«
    Ich wurde nicht Mitglied, ich wurde zum Mitglied gemacht, wovon ich erst nach mehr als zwanzig Jahren erfuhr. Das war ein erheblicher Unterschied.
    Zurück zu Thiessen und Ulbricht. Diese hatten, wie du sagtest, ein freundschaftliches Verhältnis, sie haben sich wechselseitig beraten. Auf Thiessen soll auch die Losung vom Überholen ohne Einzuholen zurückgehen?
    Nein, nicht Thiessen war der Urheber. Staatssekretär Stubenrauch von mir, er hatte seinen Diplomingenieur in Leningrad gemacht, und dessen Professor Schaumjan sind die eigentlichen Väter. Schaumjan kannte ich persönlich. Unser Ministerium lag in der Wuhlheide, und dort hatte Ulbricht auch die Akademie für marxistisch-leninistische Organisationswissenschaften gegründet und angesiedelt. Er wollte damit Wissenschaft und Forschung, die ja organisiert werden müssen, vorantreiben. Ich hielt die Akademiegründung für überzogen, ein Institut hätte es auch getan, aber Ulbrichts Ansinnen stimmte ich prinzipiell zu.
    Ich lud also Schaumjan ein, dass er an der Akademie Vorträge hielt. Er hatte eine bedeutenden Beitrag zur Erhöhung der Produktivität im Werkzeugmaschinenbau geleistet. Darüber sprach er und über Grundsätzliches in der Forschung. Wolfgang Berger, Ulbrichts Mitarbeiter, war einmal bei Schaumjans Vortrag dabei. Eine These des Leningrader Wissenschaftlers lautete, dass wir nicht »nacherfinden« sollten, was der Kapitalismus entwickele, sondern wir müssten das umgehen, also nicht nur auf- und nachholen, was er in Wissenschaft und Technik vormache. Daraus leitete Berger ab: überholen ohne einzuholen. Und das schrieb er Ulbricht in eine Rede.
    Es war also als Wissenschafts- und Technik-Strategie und nicht für die Gesellschaft gedacht?
    Natürlich. Wenn man in der Forschung nur nachläuft, ist der andere immer schon weiter. Also muss man, um zu Spitzenleistungen zu kommen, andere Wege beschreiten, die vorgegebenen Bahnen der anderen verlassen. – Ich war ja auch Vorsitzender des Ausschusses, der die Nationalpreise Wissenschaft und Technik vergab. Das war eine sehr lukrative Auszeichnung, und wir bekamen oft Erfindungen eingereicht, die auf diese Weise honoriert werden sollten. Da mussten wir darauf achten, was tatsächlich neu oder eben nur nacherfunden worden war.
    Die Losung ist unverändert gültig, auch wenn sie nicht ausgesprochen wird. Überall in der Welt, wo geforscht wird, verfährt man nach diesem Prinzip: Wenn man vorn landen will, muss man die Konkurrenz auf einem eigenen Weg zu überholen und nicht einzuholen versuchen.
    Wer also damals und auch heute diese Losung ins Lächerliche zu ziehen versucht, hat nichts

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