Walzer der Liebe
regungslos die Tür, die Augen entschlossen auf einen Punkt auf der Tapete gerichtet.
„Sie sind verrückt. Sie müssen verrückt sein", flüsterte ich. „So benimmt sich niemand, nicht einmal der wildeste Wüstling!"
„Mich kann man kaum als einen Niemand bezeichnen", erwiderte Mr. Carlyle hochmütig. „Denken Sie freundlicherweise daran, Miss Ames. Jennings, Champagner! Wollen wir vor dem Tanz ein Glas leeren, Madam? Und vielleicht eine Kleinigkeit essen? Ich habe an die besten Delikatessen gedacht, Hummerpastetchen eingeschlossen. Ich weiß, wie sehr Damen sie lieben." Noch während er sprach, hatte er eine übergroße Damastserviette, die ihm vom Lakai gebracht worden war, vor mir auf dem Bett ausgebreitet. Er stand auf und füllte unsere Teller.
Wie im Traum nahm ich das mir von einem weiteren Lakaien gereichte Champagnerglas entgegen und hielt es zwischen den Händen, damit der Inhalt nicht überschwappte. Ich hatte ganz spontan reagiert und gar nicht bemerkt, dass ich dabei die Bettdecke losgelassen hatte.
Der Anblick des Tellers, den Mr. Carlyle mir auf den Schoß stellte, verschlug mir den Atem. Alles sah köstlich aus und ganz so, als wären wir beim Ball soeben zum Souper gegangen.
„Haben Sie das alles vom Duke of Severn bekommen?" fragte ich. Es hätte mich nicht im Mindesten gewundert, wenn Mr. Carlyle mit den Körben in den Händen auf dem Ball erschienen wäre und sie in aller Ruhe gefüllt hätte, während hinter ihm die Gäste tuschelten.
„Nein, natürlich nicht. Mein Küchenchef ist besser als der Seiner Gnaden. Das habe ich immer betont", entgegnete Mr. Carlyle und setzte sich in den vor dem Bett stehenden Sessel, während ein Lakai einen kleinen Tisch vor ihn stellte. „Sie müssen unbedingt die Entenbrust in Weinsauce versuchen. Das ist eines der Meisterwerke meines Kochs. Claude war früher bei Talleyrand im Dienst. In diesem Land hat er nicht seinesgleichen." Mr. Carlyle erhob sein Glas. „Ein Trinkspruch, Miss Ames? Auf den Abend und Ihre gute Gesundheit?"
„Ich werde auf Ihren Einfallsreichtum trinken, Mr. Carlyle", antwortete ich, weil ich entschlossen war, nicht wie ein einfaches Mädchen von einem im Norden gelegenen Bauernhof zu erscheinen. „Und auf Ihren Wagemut. Ich bin sicher, Ihre kapriziöse Eingebung von heute Abend wird bald allgemeiner Gesprächsstoff sein. Herzlichen Glückwunsch! Sie haben sich wieder einmal unerhört benommen. Und ich wage zu behaupten, dass Sie damit der Dame mit dem Efeuzweig in fast nichts nachstehen."
Mr. Carlyle nickte, als wolle er sich bei mir bedanken. „Ich stimme Ihnen zu, dass diese Geschichte bekannt werden muss. Ich befürchte, mich nicht darauf verlassen zu können, dass Lord Morestons Diener den Mund halten. Aber keine Angst! Wenn wir hier fertig sind, werde ich zum Ball des Duke of Severn fahren und allen Anwesenden berichten, was ich getan habe."
„Sie wollen was tun?" fragte ich und legte die Gabel hin. Der Appetit war mir gründlich vergangen.
„Ich werde die Geschichte natürlich allen Leuten erzählen. Täte ich das nicht, gäbe das Anlass zu der Vermutung, wir beide hätten etwas zu verbergen. Und das wäre Ihrem guten Ruf höchst abträglich, Miss Ames. Indem ich die Sache als etwas ganz Alltägliches behandele - nun, nein, vielleicht ist sie nicht alltäglich, denn ich bin überzeugt, in meinem Leben nie etwas Alltägliches getan zu haben -, kann es nicht zu tödlichem Klatsch kommen. Oh, natürlich wird es einige Leute geben, die sich aufregen. Ich bin oft Gegenstand von Gerede. Das hat nichts zu bedeuten."
„Für Sie vielleicht nicht", warf ich verbittert ein.
„Auch für Sie nicht", versicherte Mr. Carlyle rasch. „Ich würde Ihnen nie schaden."
Darauf wusste ich nichts zu sagen. Er hatte in normalem Ton gesprochen, doch die damit zum Ausdruck gebrachte Einstellung verschlug mir die Sprache.
„Wenn Sie so nett wären, mir von diesem Unfall zu berichten, den Sie hatten", forderte er mich auf. „Ich nehme doch an, es war ein Unfall?"
Ich senkte den Blick und starrte auf meinen Teller. Sollte ich Mr. Carlyle meinen Verdacht anvertrauen? Plötzlich drängte es mich, ihm alles zu berichten, endlich meine Zweifel und Befürchtungen mit jemandem zu teilen. Aber das wagte ich nicht. Wir waren Fremde, ungeachtet dessen, was hier gerade geschah. Daher erzählte ich ihm nur, was passiert war, und fügte hinzu, ich müsse gestolpert sein.
Ruhig aß er seine Ente auf, tupfte sich die Lippen ab und sagte: „Es
Weitere Kostenlose Bücher