Walzer der Liebe
fällt mir schwer, das zu glauben. Sie sind eine aktive, athletische Frau. Sie wären die Letzte, die stolpern würde."
„Wäre es nicht schmeichelhafter für mich gewesen, wenn Sie erklärt hätten, ich sei zu graziös, um so etwas zu tun?" fragte ich pikiert. Athletisch! Du meine Güte!
„Bitte, seien Sie nicht gekränkt. Natürlich kann ich Ihre Grazie preisen, wenn Sie die üblichen Plattitüden hören wollen. Aber auf Grund der Tatsache, dass Sie auf dem Land aufgewachsen sind, halte ich Sie nicht für so ungeschickt. Gleichviel! Darüber reden wir ein anderes Mal. Ich könnte Ihnen sagen, wie sehr Sie von Glück reden können, dass Sie nicht schwerer verletzt oder sogar getötet wurden, vermute indes, dass Sie dies schon von allen anderen gehört haben. Sie sind jetzt auf dem Weg der Genesung? Sie werden bald gesund sein?"
„Ja, vielen Dank für die Nachfrage", antwortete ich, entschlossen, ebenso gleichgültig wie standhaft zu sein. „Ich bin schon fast gesund. Allerdings fühle ich mich noch ein wenig zu schwach, um einen ganzen Abend lang zu tanzen."
Mr. Carlyle nahm meinen Teller fort und bedeutete dem Lakai, mir Champagner nachzuschenken. Verdutzt bemerkte ich, dass ich das Glas geleert hatte, ohne mir dessen bewusst gewesen zu sein.
„Ich hoffe jedoch, dass Sie imstande sind, ein- oder zweimal zu tanzen." Mr. Carlyles Lächeln wirkte jetzt weniger gekünstelt, und ich nickte.
Ich gebe es zu. Inzwischen stand ich ganz unter dem Zauber, den Hugh Carlyle in mein mehr als prosaisches Schlafzimmer gebracht hatte. Die Kerzen im großen Kandelaber verbreiteten ein strahlendes Licht, und der Duft der von Mr. Carlyle mitgebrachten Rosen war betörend. Selbst die aus dem Korridor hereindringende Musik war entzückend. Hätte ich meine Augen geschlossen, hätte ich schwören können, mich im Ballsaal des Duke of Severn zu befinden. Aber ich schloss die Augen nicht, nein, nicht einmal im Bewusstsein, dass die Respekt einflößende Mrs. Collins im Korridor auf Wache stand.
Mr. Carlyle lehnte sich jetzt im Sessel zurück und betrachtete angelegentlich den Inhalt seines Glases, als faszinierten ihn die im Champagner aufsteigenden Bläschen.
„Überlegen wir einmal", murmelte er. „Gibt es irgendetwas, das ich übersehen habe? Bitte, Sie brauchen meine Gefühle nicht zu schonen, Miss Ames. Sagen Sie mir unverblümt, ob ich vergessen habe, ein für den Abend unerlässliches Detail zu berücksichtigen."
Ich neigte den Kopf zur Seite und gab vor, gründlich nachzudenken. „Nun, ich befürchte, Mrs. Collins ist nicht mit einer Reihe würdevoller Matronen gleichzusetzen, die wachsam die Tänzer im Auge behalten", begann ich. „Uns fehlt auch das laute Stimmengewirr und Gelächter, das man bei einer Gesellschaft hört."
„Ja, und so voll wie dort ist es hier auch nicht", fügte Mr. Carlyle meine Gedanken aufgreifend hinzu. „Ich war sehr nachlässig. Soll ich Ihren Arm ein bisschen schütteln, um die Situation wirklichkeitsnaher zu machen? Bestimmt hätte ich eine junge Dame mitbringen sollen, die ihre erste Saison erlebt und einen hysterischen Anfall bekommt, weil jemand auf ihr Kleid getreten ist? Und zwei betrunkene junge Viscounts? Drei Marchionessen, die stocktaub sind und laut kreischen? Und natürlich vier pensionierte Offiziere, die die Schlacht bei Waterloo noch einmal durchleben, obwohl keiner von ihnen daran teilgenommen hat. Und fünf ..."
Ich kicherte. Ich konnte es nicht verhindern. Ich kicherte. Mr. Carlyle lächelte mich an, stand auf und nahm mir das Glas ab. Erstaunt bemerkte ich, dass es schon wieder leer war. Er verneigte sich und schnippte mit den Fingern. Die Lakaien eilten herbei und räumten die Gläser und das Essen ab.
„Wollen wir tanzen, Miss Ames? Vielleicht einen Walzer?" schlug er vor. „Ich weiß nicht, ob man Ihnen schon gestattet hat, Walzer zu tanzen, doch da ich Miss Louisas Ruf kenne, bezweifele ich, dass es Ihnen bereits möglich war, Billetts für Almack's zu bekommen. Das ist ohne Bedeutung. Wir sind hier unter uns."
Mr. Carlyle kam näher ans Bett, und plötzlich erinnerte ich mich, dass ich nur mein Nachthemd anhatte.
„Ich kann nicht tanzen", erklärte ich würdevoll und versuchte, den Anflug von Panik zu verbergen, den ich unvermittelt empfand. „Ich bin nicht angezogen."
„Unsinn! So weit ich sehen kann, sind Sie züchtiger bekleidet, als Sie das auf dem Ball sein würden. Es sei denn, Sie hätten vorgehabt, ein hochgeschlossenes und langärmeliges
Weitere Kostenlose Bücher