Walzer, Küsse und Intrigen - Michaels, K: Walzer, Küsse und Intrigen
verzierten Schnupftabakdosen von einem kleinen Tischchen nahebei. Verächtlich setzte sie hinzu: „Kein Mensch schnupft mehr. Eklige Angewohnheit! Aber die Dosen sind hübsch, nicht wahr? Und nun erzähl mir von deinem Marquis. Hältst ihn immer noch hin, nicht wahr? Ich habe gesehen, wie er dich anschaut, und er sieht immer noch eher begierig als satt aus.“
„ Maman , bitte, ich möchte lieber nicht darüber reden.“
„Ja, ja, du tust so spröde und anständig. Das ist ja gut und schön, bis zu einem gewissen Punkt, aber du bist nicht Lydia! Du bist mir ähnlicher, als dir lieb ist, vom Wesen her, nicht vom Äußeren, und das wurmt dich, nicht wahr? Aber jetzt, Tochter, hör auf mich, denn ich kenne deine Bedürfnisse. Ich weiß, was dich nachts wach liegen lässt, weiß, was dir fehlt. Wenn der Mann so verrückt danach ist, dich zu verführen, rate ich dir, lass es geschehen. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu folgendem Schluss gekommen: Der Mann hat einen Ruf zu verlieren; wenn er dich in seinem Bett gehabt hat, bist du so gut wie verheiratet.“
„Ich will nicht darüber reden, sagte ich …“
Aber als hätte sie nichts gehört, fuhr Lady Daughtry unbeirrt im Plauderton fort: „Außerdem, Töchterchen, ist Jungfräulichkeit keine Tugend, nur ein vorübergehender Hinderungsgrund für köstliche Wonnen, zumindest, wenn der Mann ein Könner ist. Du wirst es nicht bedauern, dich von deiner Jungfräulichkeit zu verabschieden. Gott weiß, ich hab’s nicht bedauert.“
Nicole stand auf, mit dem Gefühl, dass sie gleich schreiend davonlaufen würde, weil Maman so entsetzlich geschmacklos redete. Schlimmer jedoch war, dass sie irgendwie physisch auf die undelikaten Worte reagierte; ihr Verstand, ihr Anstandsgefühl und ihre Vernunft wurden wieder einmal von ihrem verräterischen Körper überstimmt.
Da der Ladengehilfe eben eine Teekanne und zwei Tassen brachte, setzte sie sich wieder hin und sagte nur: „Du solltest mit mir nicht über so etwas sprechen.“
„Unsinn, wer soll dir denn die Wahrheit über so etwas sagen, wenn nicht deine eigene Maman ?“ Sie beugte sich dichter zu Nicole. „Du bist über achtzehn, Nicole, du hast lange genug herumgerätselt. Ich will dir nur helfen, Liebes.“ Sie stand auf und rief dem Verkäufer zu: „Das war’s. Schicken Sie alles zusammen mit der Rechnung an meinen Sohn am Grosvenor Square.“
Mit einem Blick auf die vielen Einkäufe und den unberührten Tee erhob sich auch Nicole. „Nein! Also, ich finde, wir sollten die Sachen gleich mitnehmen.“
„Warum denn das? Spätestens morgen werden sie da sein.“
„Aber … hattest du nicht Durst? Du hast um Tee gebeten.“
„Um eine Erfrischung habe ich gebeten! Und dieser Dummkopf setzt mir Tee vor! Also, da schon alle anderen Einkäufe in der Kutsche sind, können wir diese letzten paar Teile genauso gut liefern lassen.“
Noch einmal betrachtete Nicole den Berg auf der Theke, dann entschied sie, dass ihre Mutter eben ohne diesen grässlichen rosa Schal nach Italien reisen musste. „Gut, dann sollten wir aufbrechen.“
Als sie hinaus auf den Gehweg traten, war Nicoles Erleichterung beinahe greifbar, denn ein Stück die Straße hinab entdeckte sie Rafe an einer Ecke, wie er angelegentlich die Auslagen eines Ladens betrachtete. Seine Anwesenheit signalisierte, dass Lydia ihre Aufgabe vollbracht hatte und sein Reisewagen schon voll beladen auf der Straße nach Dover rollte.
Also Zeit, ihre Mutter ebenfalls auf den Weg zu bringen. Rasch stieg sie ihr nach in die Kutsche und nahm den Sitz gegen die Fahrtrichtung ein, ohne auch nur länger als einen Moment darüber nachzudenken, ob sie so vielleicht auf dem langen Weg zur Küste reisekrank werden würde.
„Weißt du, Liebes, das war ein wirklich reizender Vormittag, nur wir beide …“
Da Nicole mehr wusste als ihre Mutter, verspürte sie einen Hauch von Gewissensbissen. Wie um Himmels willen sollte sie ihr das alles gleich nur beibringen? Warum hatte sie sich nicht längst etwas ausgedacht? „Ja, ganz reizend.“
„Natürlich ist mir Lydias Gesellschaft eigentlich lieber. Sie war immer einfach zu behandeln, nur mag ich es nicht, dass wir dauernd miteinander verglichen werden. Dieser jugendliche Schmelz … du weißt schon. Gut, dass du auf deinen Vater herauskommst. Dieser Hell-Dunkel-Kontrast erregt die Aufmerksamkeit der Gentlemen, ohne Vergleiche hervorzurufen.“
In Nicoles Kopf machte etwas Klick, und dann brach es aus ihr heraus:
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