Wandel
dem Monster ein bisschen näher auf die Pelle, denn mit seiner unglaublichen Geschwindigkeit konnte sie nicht mithalten. Aber mit jedem neckischen Angriff entfernten sich die beiden auch ein wenig weiter von Thomas, Mouse und mir. „Olé!“, rief Molly gerade. „Hier bin ich, Toro, hier!“
„Thomas!“, rief ich. „Steh auf!“
Thomas blinzelte mehrmals, erst langsam, dann schneller. Er hob die Hand, fuhr sich über die blutverschmierte Gesichtshälfte, schüttelte heftig den Kopf, um das Blut aus den Augen zu bekommen, und schien jetzt erst das Metallstück in seinem Unterleib zu bemerken. Er packte es, schnitt eine Grimasse und zog es heraus: Zum Vorschein kam ein gut zehn Zentimeter langes Winkeleisen, das wohl in der Wand, durch die Thomas geflogen war, als Abstandhalter gedient hatte. Laut stöhnend ließ er es fallen, schloss die Augen, ließ den Kopf in den Nacken fallen.
Dann durfte ich miterleben, wie seine zweite Natur übernahm. Seine Haut wurde noch bleicher, fast schien es, als strahle sie einen ganz eigenen Glanz aus. Sein Atem ging wieder tief und regelmäßig, der Schnitt am Haaransatz, dem er das blutverschmierte Gesicht verdankte, schloss sich und heilte praktisch, während ich zusah. Als er die Augen aufschlug, hatten sie ihre Farbe gewechselt, strahlten nicht mehr zufrieden und blau, sondern hungrig und silbern, wie Metall.
Mit einer einzigen, anmutig glatten Bewegung stand er von der Erde auf und warf mir einen Blick zu. „Blutest du?“
„Nee“, krächzte ich. „Mir geht es prima.“
Ein paar Schritte weiter rappelte sich auch Mouse wieder auf, um sich mit weit offenem Maul und klapperndem Kiefer zu schütteln. Molly war inzwischen bis zur Straße gekommen, von wo man einen mordsmäßigen Lärm hörte.
„Diesmal machen wir es auf die schlaue Tour“, sagte Thomas, allerdings an Mouse gewandt, nicht an mich. „Ich gehe vor und lenke ihn ab. Du konzentrierst dich auf Muskeln und Sehnen. Ich glaube, du musst zwei Gliedmaßen erwischen, dann ist das Teil ein Krüppel.“
„Wuff!“ Offenbar war Mouse mit Thomas’ Plan einverstanden. Als er anfing zu knurren, sammelte sich erneut schwaches, hellblaues Licht um seinen Körper.
Thomas nickte und bewaffnete sich mit einem ungefähr einen halben Meter langen Eckpfosten der zerschmetterten Holzveranda, auf der er gelandet war. „Lass dir keine grauen Haare wachsen. Wir kommen dich holen. Dauert vermutlich ein Minütchen.“
„Auf ihn, Team Dresden!“, krächzte ich.
Die beiden schafften es in ungefähr einer Sekunde von null auf Geparden-Tempo und waren im Handumdrehen nicht mehr zu sehen. Ich hörte Thomas einen hohen Schrei ausstoßen, der verdammt an Bruce Lee erinnerte – dann ertönte das donnernde Krachen von Holz, das auf etwas Hartes traf.
Einen Augenblick später bekam ich das Angriffsknurren meines Hundes zu hören. Farben flammten auf – höchstwahrscheinlich warf Molly zur Ablenkung ein bisschen mit Magie um sich. Die konnte der Kreatur nichts anhaben, aber Molly hatte eine prima Lightshow drauf, die einen gehörig blenden konnte und bei der sie jede nur denkbare Farbe grell aufblitzen ließ. Bei Bedarf ergänzte sie das Ganze auch noch mit einer Geräuschkulisse. Sie nannte das ihren Ein-Frauen-Rave-Zauber. Am letzten Unabhängigkeitstag hatte sie damit im Garten ihrer Eltern ein so beeindruckendes Feuerwerk veranstaltet, dass es offenbar auf der benachbarten Schnellstraße zu Verkehrsproblemen gekommen war.
Es war verflucht schwer, mit halb verdrehter Hüfte am Boden zu liegen und zur Belohnung gerade mal hier und da ein aufblitzendes Licht zu sehen zu bekommen, ein Krachen oder wütendes Zischen zu hören. Also legte ich mich bequemer hin, ließ Schlacht Schlacht sein und konzentrierte mich nur noch darauf, nicht ohnmächtig zu werden oder zu tief Luft zu holen. Das Biest hatte mir eindeutig mindestens eine Rippe gebrochen.
Als ich so dalag und möglichst flach atmete, entdeckte ich zwei Paar glühend roter Augen, die mich mit der unverwechselbaren Starre von Raubtierblicken aus dem Wald heraus beobachteten. Sie kamen näher. Stetig und langsam, aber sie kamen – und jeder hier in der Gegend, der mir hätte helfen können, war im Moment anderweitig beschäftigt.
„Scheiße“, hauchte ich.
26. Kapitel
D ie Augen rasten auf mich zu , dann versetzte mir etwas Dunkles, Starkes einen Schlag gegen das Kinn. Da ich ohnehin kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren, sah ich danach nur noch Sterne.
Vage
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