Wandel
wütenden Zischen versuchte ich, mich zu ihm hinzudrehen, was mir kläglich misslang. Mein Körper rührte sich keinen Millimeter vom Spineboard.
„Lass das“, sagte Uriel ruhig. „Es ist es nicht wert, sich groß darüber aufzuregen.“
„Nicht aufregen?“, rief ich. „Mein kleines Mädchen soll sterben!“
„Du hast deine Entscheidungen getroffen, und eine von ihnen hat dich hierher geführt.“ Uriel breitete die Hände aus. „Gut gemacht, mein Sohn. Jetzt musst du es nur noch bis zum Ende durchziehen.“
„Aber du könntest mich heilen, wenn du wolltest.“
„Was ich will oder nicht will, spielt in dieser Frage keine Rolle.“ Uriel blieb gelassen. „Wäre es vorgesehen, könnte ich dich heilen. Aber der freie Wille muss höhere Priorität behalten, wenn er denn überhaupt eine Bedeutung haben soll.“
„Was soll das philosophische Geschwafel, wenn ich dir sage, dass ein Kind sterben wird?“
Uriels Miene wurde einen Moment lang finster. „Ich sage dir, mir stehen nur beschränkte Mittel zur Verfügung, um dir zu helfen. Im Grunde genommen auf das beschränkt, was ich bereits für dich getan habe.“
„Seelenfeuer! Damit hätte ich mich gerade um ein Haar umgebracht. Herzlichen Dank auch.“
„Niemand zwingt dich, es einzusetzen, Dresden. Du hast die Wahl.“
„Als du Hilfe brauchtest, habe ich mitgespielt“, sagte ich. „Ist das der Dank?“
Uriel verdrehte die Augen. „Du hast versucht, mir eine Rechnung zu schicken.“
„Geht es um Bezahlung? Wenn du einen Preis festsetzen willst: bitte. Ich zahle, was du verlangst. Egal was.“
Uriel betrachtete mich mit ruhigem, wissendem Blick. „Ich weiß, dass du das tun würdest.“
„Verdammt!“ Mir versagte die Stimme, Tränen schossen mir in die Augen. In meinem Kopf fingen die Farben und Linien des Zaubers an zu verschwimmen. „Bitte!“
Dieses „Bitte“ ließ Uriel erzittern. Er wandte das Gesicht ab, ihm war eindeutig nicht wohl in seiner Haut. Aber er schwieg beharrlich.
„Bitte“, sagte ich erneut. „Du weißt, wer ich bin. Du weißt, ich ließe mir lieber die Zehennägel ausreißen, als zu betteln. Trotzdem flehe ich dich an. Ich bin nicht stark genug, ich schaffe das hier nicht allein.“
Uriel hörte mir zu, ohne mich anzusehen. Dann schüttelte er langsam den Kopf. „Ich habe getan, was ich kann.“
„Aber du hast gar nichts getan!“
„Aus deiner Sicht mag das so scheinen.“ Er strich sich mit dem Daumen übers Kinn, runzelte nachdenklich die Stirn. „Wahrscheinlich … wahrscheinlich wäre es keine allzu große Abweichung vom Plan, wenn ich dir sage …“
Mir taten langsam die Augen weh, weil ich so lange zur Seite geschaut hatte, ohne den Kopf bewegen zu können. Ich biss mir auf die Lippen und wartete.
Uriel holte tief Luft. Anscheinend wählte er jedes seiner Worte mit Bedacht. „Deine Tochter. Maggie. Sie lebt, und es geht ihr gut. Im Moment noch.“
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus.
Meine Tochter.
Er hatte sie meine Tochtergenannt.
„Ich weiß, dass Susan für dich die Frau sein sollte, an die du dich erinnertest, die du geliebt hast. Du wolltest ihr trauen können. Doch auch wenn du es dir nicht eingestandest, hattest du auf einer gewissen Ebene deine Zweifel. Ich mache dir daraus keinen Vorwurf. Anders wäre es gar nicht denkbar, besonders nachdem die Suchzauber fehlschlugen. Aber ja.“ Er sah mir in die Augen. „Fleisch von deinem Fleisch, Bein von deinem Bein. Deine Tochter.“
„Warum sagst du mir das?“, fragte ich.
„Weil ich alles getan habe, was ich tun konnte“, entgegnete er. „Nun liegt es an dir. Du bist Maggies einzige Hoffnung.“ Er machte Anstalten, sich abzuwenden, blieb aber noch einmal stehen. „Denk über das nach, was Vadderung gesagt hat. Denk genau darüber nach.“
Ich blinzelte. „Du kennst Od... Vadderung?“
„Natürlich. Wir sind schließlich in ähnlichen Bereichen tätig.“
Ich seufzte müde und gab den Versuch auf, den Zauber aufrechtzuerhalten. „Ich verstehe nicht …“
Uriel nickte. „Das ist das Schwierige daran, sterblich zu sein. Man hat die Wahl, und vieles bleibt einem verborgen.“ Er seufzte. „Liebe dein Kind, Dresden. Alles andere ergibt sich daraus. Das hat ein kluger Mann einmal gesagt. Was immer du tust, tu es aus Liebe. Wenn du dich daran hältst, dann führt dich dein Weg nie so weit vom Licht fort, dass du nicht mehr zurückfindest.“
Mit diesen letzten Worten verschwand der Engel.
Zitternd vor Erschöpfung lag
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