Wandel
ich da und starrte in die Dunkelheit. Der Zauber hatte mir sehr viel abverlangt. Ich stellte mir Maggie vor, in ihrem Kleidchen, mit den Schleifen im Haar. Wie auf dem Foto.
„Für dich, kleines Mädchen. Papa kommt.“
Keine halbe Minute, und ich hatte den Zauber wieder aufleben lassen, eine weitere halbe Minute, und ich hatte die Energie, die ich brauchen würde, beisammen. Bis zur letzten Sekunde wusste ich nicht, ob ich es wirklich durchziehen würde, aber dann blitzte vor meinem geistigen Auge ein grässliches Bild von Maggie in ihrem Kleidchen auf, wie ein Vampir des Roten Hofs sie hochriss, und meine ganze Wut ballte sich zu einem einzigen, weißglühenden Punkt aus rohem, unerschütterlichem Willen zusammen.
„Mab!“, rief ich mit fester Stimme. „Mab! Königin der Luft und der Dunkelheit, Königin des Winterhofes, ich rufe dich.“
30. Kapitel
D ie dritte Wiederholung ihres Namens hing in der Luft, und mit wild klopfendem Herzen wartete ich in der darauffolgenden Stille auf Mabs Antwort.
Es gab ein paar zentrale Dinge, die man beachten musste, wenn man etwas Gefährliches einfangen wollte und die Sache nicht schiefgehen sollte. Man brauchte einen erstklassigen Köder, auf den das Zielobjekt auf jeden Fall anspringen würde, eine ebenso erstklassige Falle, die auf jeden Fall zuschnappen würde, und zwar schnell, und wenn die Beute in der Falle saß, brauchte man noch einen stabilen Käfig oder ein Netz, damit sie nicht wieder abhaute.
Drei Dinge mussten also stimmen. Lag man bei einem daneben, klappte die Sache wahrscheinlich nicht. Kriegte man gleich zwei nicht hin, konnte man mit weitaus verheerenderen Folgen rechnen als mit simplem Scheitern.
Ich wollte etwas sehr Gefährliches einfangen und hatte lediglich den Köder dabei: Mab versuchte schon seit Jahren, mich zum Übertritt in ihre Dienste zu verleiten, wofür sie ihre ureigenen Gründe hatte. Sie bei ihrem Namen und sämtlichen Titeln zu rufen würde wohl reichen, um ihr Interesse zu wecken. Der Köder war also kein Problem. Mein hochgerüsteter Beschwörungskreis unten in meinem alten Labor hätte auch eine prima Falle abgegeben, nur existierte der leider nicht mehr – und mein Wille war bei solchen Unterfangen schon immer der schwächste Punkt gewesen.
Unter dem Strich konnte ich den Tiger herbeilocken. Dann saß ich in meiner Grube – mochte sie auch bloß eine Kreidezeichnung auf dem Bürgersteig sein – und musste hoffen, dass das Kätzchen lieb zu mir war.
Völlig blind und unwissend stieg ich jedoch nicht in diese Grube. Zwar war ich verzweifelt, aber deswegen noch lange nicht blöd. Ich rechnete mit einem gewissen Vorteil: Mab konnte keinen Sterblichen töten, sie konnte ihn nur soweit bringen, dass er von ganzem Herzen wünschte, tot zu sein, um ihre Aufmerksamkeiten nicht mehr ertragen zu müssen. Außerdem hatte ich nicht viel zu verlieren. Nutzloser als ich für meine Tochter sowieso schon war, konnte ich auch mit Mabs Hilfe nicht mehr werden.
So wartete ich also in absoluter Dunkelheit auf die absolute Krönung aller bösen Feen aus sämtlichen finsteren Märchen, die sich die Menschheit je des Nachts angstvoll zugeflüstert hatte.
Mab enttäuschte mich nicht.
Sie überraschte mich, ja. Aber sie enttäuschte mich nicht.
Als Erstes sah ich Sterne.
Was ich einen Moment lang für ein ganz schlechtes Zeichen hielt. Aber diese Sterne wirbelten nicht in schwindelerregenden Kreisen wie die, die man sah, wenn das Hirn kurzfristig nicht mehr recht mitspielte. Sie brannten konstant, rein und kalt über mir, fünf Edelsteine am Hals der Dame Nacht.
Sekunden später strich mir eiskalter Wind über das Gesicht, und die Fläche, auf der ich lag, fühlte sich plötzlich hart und glatt an. Als ich vorsichtig die Hände flach neben mich legte, spürte ich weder das Feldbett, auf dem ich lag, noch das Spineboard. Meine Finger ertasteten Stein, eine ebenmäßige, glatte Steinoberfläche, auf der mein Körper zu ruhen schien. Probeweise wackelte ich mit dem Fuß: Auch darunter befand sich der Stein.
Moment … ich erstarrte. Wieso hatte ich mit dem Fuß gewackelt? Spüren können, was sich darunter befand?
Mein Körper war wieder da, der ganze, und zwar nackt. Was nun? Sollte ich zittern, weil mir plötzlich so kalt war, oder vor Freude jubeln, weil ich diese Kälte am ganzen Leib spüren durfte? Links von mir sah ich Land. Ich kroch über den Rand der eiskalten Steinplatte, hockte mich nieder und klammerte mich an der Kante fest, um
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