Wandel
der Kirche. Sie hätten sie als Hebel benutzt, um an mich ranzukommen, oder hätten sich durch sie an mir gerächt. Je weniger Menschen von ihr wussten, desto sicherer war sie. Ich habe dir nie von ihr erzählt, obwohl ich wusste, dass es falsch war. Obwohl ich wusste, wie wütend dich das machen würde. Deiner eigenen Kindheit wegen.“ Sie beugte sich vor, ihre Augen glühten förmlich vor Intensität. „Ich würde jederzeit noch tausendmal Schlimmeres tun, wenn das bedeutete, sie besser zu schützen.“
Ich nippte an meiner Cola. „Also hast du sie von mir ferngehalten, weil das für sie ungefährlicher ist, und sie fortgeschickt, um von Fremden erzogen zu werden, weil sie dann sicherer ist.“ Der Sturm in mir drängte höher, meine Stimme klang inzwischen sehr nach seinem wütenden Heulen. „Was bitte schön hattest du von all deinen klugen Überlegungen?“
Susans Augen blitzten. Auf ihrer Haut begannen scharlachrote, wirbelnde Stammesmarkierungen aufzutauchen, wie Tätowierungen mit unsichtbarer Tinte. Nur sozusagen falsch herum, umgekehrt – die Bruderschafts-Version eines Stimmungsrings. Das Muster bedeckte Susans eine Gesichtshälfte und zog sich bis auf den Hals hinunter.
„In der Bruderschaft muss es eine undichte Stelle geben“, sagte sie, jedes Wort knapp und klar. „Irgendwie hat Herzogin Arianna vom Roten Hof von der Kleinen erfahren und sie entführen lassen. Du weißt, wer Arianna ist?“
„Ja.“ Ich nickte. Die Erwähnung Ariannas ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, aber ich befahl mir streng, nicht weiter darauf zu achten. „Arianna ist Herzog Ortegas Witwe. Sie hat geschworen, sich an mir zu rächen – und einmal hat sie versucht, mich über eBay zu kaufen.“
Susan starrte mich verdutzt an. „Wie geht so was … egal! Unsere Quellen am Roten Hof berichten, dass Arianna für Maggie etwas ganz Spezielles plant. Wir müssen das Kind da wegholen.“
Wieder holte ich tief Luft und schloss kurz die Augen.
„Maggie heißt sie also?“, flüsterte ich.
„Nach deiner Mutter“, flüsterte Susan. „Margaret Angelica.” Ich hörte, wie sie in ihrer Jackentasche wühlte. „Hier.“
Ich öffnete die Augen und sah ein Passbild eines dunkeläugigen, vielleicht fünf Jahre alten Kindes. Die Kleine trug ein kirschrotes Kleidchen und lila Schleifen im Haar und strahlte mich mit breitem, total ansteckendem Lächeln an. Irgendein weit entfernter, ruhiger, vom Durcheinander in meinem Innern sorgsam abgetrennter Teil meines Verstandes prägte sich jedes Detail, jedes Merkmal im Gesicht des Kindes ein, verstaute die Infos sorgsam, für den Fall, dass ich dieses Gesicht irgendwann, irgendwo würde wiedererkennen müssen. Der Rest von mir weigerte sich schlichtweg, genauer hinzuschauen und in diesem Bild etwas anderes zu sehen als ein Stückchen Papier mit farbiger Tinte darauf.
„Das Bild ist zwei Jahre alt“, sagte Susan leise. „Ein neueres habe ich nicht.“ Sie biss sich auf die Lippen und streckte mir das Foto hin.
„Nein, behalt es“, sagte ich ebenso leise, woraufhin Susan das Foto hastig wieder einsteckte. Die Markierungen auf ihrer Haut verblassten zusehends, verschwanden ebenso rasch, wie sie aufgetaucht waren. Müde rieb ich mir die Augen. „Lass uns für eine Weile“, sagte ich, „deine Entscheidung vergessen, mich aus deinem Leben zu streichen. Es hilft momentan niemandem, darauf herumzukauen, und wenn Maggie eine Chance haben soll, dann müssen wir wohl zusammenarbeiten. Siehst du das auch so?“
Susan nickte.
„Aber ich habe nichts vergessen“, fuhr ich fort, nun durch zusammengebissene Zähne hindurch. „Ich werde auch nichts vergessen, und es wird später eine Abrechnung zu diesem Thema geben. Hast du verstanden?“
„Ja“, flüsterte sie. Sie sah mit großen, feucht schimmernden, dunklen Augen zu mir auf. „Ich wollte dir nie wehtun. Oder ihr. Ich wollte nur …“
„Nein!“, unterbrach ich sie barsch. „Dafür ist es zu spät. Mit solchen Diskussionen verplempern wir nur Zeit, die wir nicht haben.“
Susan wandte rasch ihr Gesicht von mir ab und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, strahlte ihr Gesicht Ruhe und Konzentration aus. Sie hatte sich wieder im Griff. „In Ordnung“, sagte sie. „Lass uns die nächsten Schritte besprechen. Da gibt es einige Möglichkeiten.“
„Die da wären?“
„Zum Beispiel Diplomatie. Ich habe einige Geschichten über dich gehört. Wahrscheinlich stimmen die meisten vorn und hinten nicht, aber
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