Wandernde Welten
Plastiktütchen, in denen sie ihre Nähutensilien und anderen Kleinkram aufbewahrte, und ging durch den Gemeinschaftsraum in die Küche.
Drei Menschen standen vor der Spüle, spülten Geschirr und sangen ein obszönes Lied dabei. Wasserpfützen standen auf dem Boden. Paula trat an einen Schrank und füllte das Plastiktütchen mit Soda. Dann verließ sie die Küche und ging den Korridor entlang. Vor der dritten Tür blieb sie stehen und klopfte an.
»Verschwinde!«
Sie drückte die Klinke herunter. Die Tür war verschlossen.
Johns weinerliche Stimme rief noch einmal: »Verschwinde!« Sie kramte in ihren Taschen, fand einen harten Briefumschlag, schob ihn in den Türspalt und drückte die Zuhalte damit auf.
»He!«
Sie trat in den dunklen, stickigen Raum. Der Boden war mit fauligen Essensresten bedeckt. Die Matratze, die an der gegenüberliegenden Wand auf dem Boden lag, stank nach Pisse und Moder. John hockte darauf, die Arme um die Brust geschlungen, als ob ihm kalt wäre.
»Was willst du hier?«
»Warum hast du meine Flöte gestohlen? Wo ist sie?«
Er zitterte und rollte sich auf der stinkenden Matratze zusammen. »Laß mich in Ruhe.«
Paula hockte sich vor ihn auf den Boden. Zu ihren Füßen lag ein Apfelgehäuse, das von einer dicken Schicht Schimmel bedeckt war. Sie stieß es zur Seite. Sie zog das Plastiktütchen aus der Jackentasche und hielt es ihm vor die Nase. Langsam richtete er sich auf. Sein Gesicht war verzerrt und seine Nase rann. Er kratzte sich die Hoden, ohne seinen Blick von der Plastiktüte zu wenden.
»Wo ist sie?« sagte Paula.
»Hab sie nicht. Kannst ja suchen. Laß mich...« Er griff nach dem Plastiktütchen. Sie hielt es über ihren Kopf, außerhalb seiner Reichweite. »Wo ist sie?«
»Hab sie nicht. Bitte. Paula... Ich bin krank. Du siehst doch, daß ich krank bin.« Er hob die zitternden Hände. »Du darfst nicht böse mit mir sein.«
»Wo ist meine Flöte?«
»Hab sie verkauft.«
Sie preßte die Zähne aufeinander. »An wen?«
»Ich bin krank.« Er kratzte sich unter den Armen, am Kopf.
Seine dreckige Kleidung klebte ihm am Körper. »Ich bin wirlich krank, Paula.«
»John, wer hat meine Flöte gekauft?«
»B - Barrian. Barrian.«
»Wieviel?«
»Bitte...«
Sie schüttelte den Kopf. Er war wirklich krank, aber nicht so krank, wie er tat. Wenn er genug jammerte, gaben die Leute ihm Geld, nur um ihn los zu werden. »Wieviel, John?« wiederholte sie.
»Vierzig Dollar.«
»Vierzig Dollar«, murmelte sie. Natürlich hatte er sie schon bis auf den letzten Cent ausgegeben. Sie warf das Plastiktütchen mit dem Soda auf die stinkende Matratze. Er stürzte sich darauf wie ein halb verhungertes Tier.
»John, wenn du das noch einmal tust, sorge ich dafür, daß du wirklich krank wirst, hast du verstanden?«
Erhörte sie nicht. Mit zitternden Händen fummelte er in seinen verdreckten Sachen herum und steckte eine Kerze an, um das weiße Pulver zu schmelzen, das er für Morphium hielt.«
Barrian gehörte der Musikladen am unterirdischen Markt südlich des Campus'. Sie betrachtete eine Geige, die in einem Etui aus durchsichtigem Material lag, während Barrian mit einem anderen Kunden sprach. Der Korpus des Instruments glänzte in einem satten Kastanienbraun. Ein kleines Schild nannte den Namen des italienischen Erbauers und das Datum 1778. Sie war fast viertau-send Jahre alt. Paula trat an den Verkaufstisch.
»Einjunger Mann hat Ihnen übers Wochenende eine Elfenbein-flöte verkauft«, sagte sie ohne jede Einleitung.
»Stimmt. Ein echtes Prachtstück.«
»Sie gehört mir.«
»Jetzt nicht mehr.« Er tippte mit den Fingerspitzen auf die verglaste Ladentheke. Paula blickte hinab. Ihre Flöte lag offen in dem samtgefütterten Etui. Ein kleines Schild trug eine lateinische Bezeichnung und nannte einen Preis von sechshundert Dollar.
»Unter dem Ansatzstück ist mein Name eingraviert, Paula Mendoza.«
»Ich habe die Flöte in gutem Glauben erworben.«
»Für vierzig Dollar?«
Barrian lächelte. »Sie können Sie natürlich jederzeit zurückkaufen. Für sechshundert...«
»Ich gebe Ihnen die vierzig Dollar, die Sie dafür bezahlt haben.«
»Tut mir leid.«
Sie atmete tief durch. Selbst eine Ausgabe von vierzig Dollar würde ihren Speisezettel für die nächste Woche auf Reis reduzieren. Sechshundert Dollar waren einfach unmöglich. Sie trommelte mit den Fingern auf die Glasplatte.
»Ich will meine Flöte wiederhaben.«
»Der Preis ist sechshundert Dollar.«
»Ich arbeite
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