Wandernde Welten
wieder an die Oberfläche kam.
Sie rang nach Luft. Sie hielt die Taschenlampe jetzt mit beiden Händen umklammert. Das Rauschen des Wassers hallte von den engen Tunnelwänden wider. Das Licht der Taschenlampe schimmerte grünlich durch wirbelnde Wellen. Plötzlich war Kasuk wieder neben ihr, und sie schlang die Arme um seinen Hals.
»Erwürgen Sie mich nicht«, sagte er prustend und nahm ihren Arm. »Ich halte Sie schon fest.«
Junna tauchte neben ihnen auf. »Was war das?«
Paula wechselte ihren Griff und hielt sich wieder an Kasuks Hemd fest. Er nahm ihr die Taschenlampe aus der Hand. »Noch eine Bombe. Wahrscheinlich in dem Restaurant. Da haben wir wirklich noch einmal Glück gehabt.«
Sie schwammen weiter. Die Strömung trug sie durch den Tunnel. Junna überholte sie. Er schnellte aus dem Wassser und tauchte kurze Strecken, verspielt und fröhlich. Aber auf diese Art würden sie nicht nach New York kommen, sagte sich Paula. Irgendwo würde die Luft schlecht sein, oder der Tunnel war zusammengebrochen, und sie würden in der Dunkelheit ertrinken.
»Ich sehe Licht voraus!« schrie Junna.
Kasuk schaltete die Taschenlampe aus. Durch eine Einbruchstelle im Tunneldach fiel ein unregelmäßig gezackter Lichtstern herein. Paula seufzte erleichtert auf.
»Da war früher sicher auch einmal eine Station«, sagte sie. Die Luft war rein. Sie befanden sich noch immer innerhalb des Doms.
Ihre Füße fanden Grund, und sie ließ Kasuks Hemd los. Der Boden stieg allmählich an, und sie kletterten aus dem Wasser. Durch das Loch in der Tunneldecke fiel Domlicht herein. Sie ging auf den Lichtschein zu.
»Wohin wollen Sie?« Kasuk packte sie am Arm.
»Kasuk.« Sie wandte sich ihm zu, die Hände auf seinen Armen.
»Lassen Sie mich gehen. Ich habe eine Chance durchzukommen.«
Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht. »Wie weit ist es bis nach New York?«
»Zehn Stunden. Vielleicht acht. Das hängt von der Strömung im Tunnel ab.«
»Dann können wir es schaffen.«
»Kasuk! Ich werde ertrinken!«
»Sie haben doch gehört, was Saba mir gesagt hat. Ich bin vielleicht manchmal ein bißchen blöde, aber ich tue, was man mir sagt.« Er wandte sich an Junna. »Paß auf sie auf. Ich bin gleich wieder zurück.« Er blickte zu dem Loch in der gut zehn Fuß hohen Decke hinauf, duckte sich und sprang. Ein paar Sekunden lang hing er an dem ausgezackten Rand, dann stemmte er sich empor und verschwand.
»Wir werden alle sterben«, sagte Paula zu Junna.
Der Junge stieg ins flache Wasser und hockte sich hin. »Papa wird uns retten. Das tut er immer.« Er fuhr mit der Hand durch das dunkle Wasser. In seiner Stimme lag die Zuversicht eines Menschen, der noch nie in seinem Leben Angst hatte.
Irgendwo oben bellte ein Hund. Paula blickte im Tunnel umher.
Es gab keinen Weg hinaus. Das Loch in der Decke war viel zu hoch für sie. Jetzt wurde es dunkel, und Kasuk ließ sich in den Tunnel fallen. Er hatte einen zusammengerollten Strick über der Schulter und eine Kanne Milch in der Hand.
Sie hockten sich ins flache Wasser und tranken die Milch. Der Hund bellte wieder. Kasuk wischte sich Milch vom Mund und aus seinem Schnurrbart. »Hören Sie das? Sie suchen die ganze Gegend mit diesen Viechern ab. Wir müssen von hier verschwinden.« Sie wußte, daß er recht hatte. Sie verknoteten das Seil um ihre Hüften, mit fünf Fuß zwischen Kasuk und Paula, und zwanzig Fuß zwischen ihr und Junna. Sie schlang die Arme um Kasuks Nacken, und sie schwammen in das Dunkel hinein.
Der Tunnel war wie eine Gefängnismauer. Sie kamen zu einer Plastikwand, die von der Decke bis ins Wasser reichte, einen Fuß stark: die Wand des Doms. Kasuk tauchte unter dem Hindernis hindurch. Die Luft auf der anderen Seite war stickig und stank.
Das Licht wurde von trockenen Schaumflocken an den Wänden reflektiert. Die weißen Krusten waren dicht über der Wasseroberfläche zu runden Globulen verdickt. Paula hörte ein feines Surren.
Millionen von Hautflügeln knisterten an beiden Wänden. Wespen schössen überall hin und her.
»Tief einatmen.«
Sie füllte ihre Lungen mit Luft, und er tauchte. Als sie fast zu ersticken glaubte, kamen sie endlich wieder an die Oberfläche.
Die Zone der Schaumglobulen und der Wespen lag hinter ihnen.
Sie schwammen weiter. Die kahlen Felswände waren mit einer dicken Salzkruste überzogen. Paulas Kehle brannte, wenn sie einatmete. In ihrem Mund war ein bitterer Geschmack. Ein Geruch von Gas stieg ihr in die Nase und machte sie
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