Wanderungen durch die Mark Brandenburg
unten in Tal und Schlucht die Rehe schreien, und hoch über dem Berg, als wär' es der Kyffhäuser, die Dohlen kreischen. Aber es war nicht Mai, nicht Pfingsten mehr, kein Reh schrie durch die Nacht, selbst der Hundeblaff in der Mühle schwieg. Nur das klingende Fließ klang nach wie vor im Silberton zu uns herauf.
So fanden wir den Schloßberg. Wir verließen ihn, um heimkehrend uns der Frage zuzuwenden: Was erzählt uns die Geschichte – sie, die jede Auskunft über den Schloßberg selbst verweigert, – von den Bewohnern desselben, von den Uchtenhagens.
Die historische Zeit der Uchtenhagens umfaßt einen Zeitraum von etwa drittehalb Jahrhunderten. 1367 wird ihrer zum ersten Male gedacht, und 1618 erlischt das Geschlecht. Eine Urkundensammlung, wie sie neuerdings unter Benutzung der verschiedensten Archive veröffentlicht worden ist, hat die Herstellung einer Stammtafel ermöglicht, der wir – und dadurch mittelbar der Urkundensammlung selbst – einen mühelosen Verkehr zwischen oben und unten, zwischen Anfang und Ende des Geschlechts verdanken. Aber wir verdanken ihr nichts, was als eine historische Tat der Uchtenhagens angesehen werden könnte. Vielmehr fehlt nach dieser Seite hin all und jedes. Wir begegnen ihnen weder in Konstanz, noch in Worms; wir sehen sie weder unter Friedrich dem Eisernen vor Bernau, noch zu Joachim Hektors Zeiten bei Mühlberg; wir sehen sie weder gegen die Hussiten, noch gegen die Türken im Felde, und dürfen eben nur annehmen, daß sie nirgends gefehlt haben werden, wo es galt, dem Rufe des Kurfürsten zu folgen, oder für die Ehre des Landes einzustehen.
Noch einmal also, das urkundliche Material bietet uns landes-oder allgemein-geschichtlich nichts, es belehrt uns aber über die Vermögensverhältnisse der Familie und zeigt uns dieselbe in ihren Beziehungen zu ihren Lehnsmännern, Burgleuten und Hintersassen, oder wenn uns der Ausdruck gestattet ist, in den Verwaltungsgrundsätzen, wonach sie die Regierung ihres ziemlich ausgedehnten Besitzes leiteten, eines Besitzes, der nach Quadratmeilen rechnete und Städte umschloß. Da finden wir denn die Uchtenhagens, allen alten Sagen »wie sie sich die Kiezer erzählen« zum Trotz, als wahre Muster ritterlichen Wandels; fromm, sittig, ehrbar in ihrem Hause, mild, helfend, fürsorglich nach außen hin. Sie bauen Kirchen und schenken Glocken, sie schützen die Bürger in ihrem Recht und ihrem Besitz, sie belehnen den Rat Freienwaldes mit neuen Feldmarken, sie vertreten die Stadt vor dem Kurfürsten und erwirken ihr Jahrmarktstage und Freiheit von Zoll und Abgaben. Nichts, was die finsteren Märchen rechtfertigte, die in Spinnstuben bis diesen Tag mit Graus und Behagen geflüstert werden, vielmehr in allem die Anzeichen einer Regierungskunst im kleinen, dabei, in bestem Sinne, das Bewußtsein von den Rechten und Pflichten des Regiments. Ein Spruch im Freienwalder Stadtarchive gibt uns Auskunft darüber, aus welchem Glauben und Meinen heraus die Uchtenhagen ihre Herrschaft übten.
All' Obrigkeit die ist von Gott
Und soll handhaben sein Gebot.
Es soll ihr gehorchen alle Welt,
Nicht leben, wie's Lust und Laune gefällt.
Das Schwert gab Gott in ihre Handt,
Damit zu wahren Leute und Landt.
Dem Guten soll sie geben Schutz,
Den Bösen strafen, dem Guten zu nutz.
Eines Vaters Herz aber soll sie ha'n
Zu denen, so ihr sind unterthan.
So war der Spruch, nach welchem die Uchtenhagen in Haus und Hof ihre Rechte wahrten, ihre Pflicht erfüllten; nichts, was auf Fluch und Untat hinwiese, auf Taten, die unsühnbar gewesen wären. Wohl im Laufe der Jahrhunderte mischte sich auch ein blutbeflecktes Blatt in die Geschichte des Hauses, ein Vetter erstach den andern im Zweikampf oder aus Notwehr, aber dem Verbrechen folgte die Reue auf dem Fuße, und Kurfürst Albrecht Achill nahm den Bußfertigen wieder in seine Huld und Gnade auf, »gleichweis als ob die Geschichte nie geschehen wäre«.
*
Durch sechs Generationen hin, der vorhistorischen Zeit zu geschweigen, hatte der alte Stamm geblüht, nicht voll, nicht zahlreich, aber doch immerhin geblüht. Da, in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, trieb er plötzlich neue Sprossen in Fülle: acht Söhne und fünf Töchter wurden geboren, und Freude war im alten Haus der Uchtenhagens. Aber es war das reiche Blühen vor dem Tode. Ehe ein Menschenalter um war, noch vor Schluß des Jahrhunderts, waren alle Söhne des Hauses tot bis auf einen, und der
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