Wanderungen durch die Mark Brandenburg 4. Spreeland.: Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow
angenehmer sind als Zander«.
Um Saarmund und seine Saare, soviel muß zugegeben werden, schwebt ein gefällig-romantischer Klang, aber die tiefere Poesie dieser Gegenden ist doch alte Nuthen-Poesie. Die Nuthe herrscht hier, die Nuthe gibt den Charakter und breitet ihren Einsamkeitszauber über die sie begleitenden, endlosen Wiesengründe, gleichviel nun, ob sie der Rotampfer sommerlang überblüht oder ob im November die Krähen mit naßschwerem Flügel drüber hinschweben. Hier, in den Kolken am Flusse hin, war bis vor kurzem noch der Biber zu Haus, und der Fischadler tat reichen Fang. Sagenhafte Gestalten, groß und hager und an Jahren weit über das Gedächtnis der ältesten Leute hinausragend, zogen mit ihrem Springstock über die tiefen Moore; wie Schatten schritten sie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pausen, und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom Flusse her.
So war das Nuthe-Tal, und so ist es bis diesen Tag.
Zwei, drei Brücken haben wir noch auf der Saarmunder Straße zu passieren. Von der ersten aus, deren hochgewölbte Balken uns einen Blick nach rechts und links hin gestatten, schweift unser Auge das Tal hinauf und hinunter. Tiefe Stille; nur Wasser und Wiese; kein Floß, kein Kahn; nichts Lebendes, nichts als das weiße Gewölk, das, langsam ziehend, dem langsamen Zuge des Wassers folgt.
Nichts Lebendes. Und woher auch Leben? Wenn es wahr ist, daß man eine Großstadt auf Meilen hin in beinah rätselvoller Weise vorausfühlt, so muß die Wirkung, die Saarmund in die Ferne hin übt, eben die der Abgestorbenheit sein. Denn man kann nur mitteilen, was man hat. Und nichts Abgestorbneres und Stilleres als Saarmund. Über eine letzte Brücke hin rasselt unser Gefährt in die Stadt hinein; beschnittne Linden vor den Türen, über die Hof- und Gartenzäune strecken Holunderbäume die weißen Dolden, und wenn dann und wann eine Haustür sich öffnet und der eigentümliche Klapperton einer schadhaften Klingel über die Straße klingt, so horcht die ganze Stadt.
Unser Wagen war ein Ereignis. Einer stürzte halbrasiert ans Fenster, und der rückwärts gewandte Gruß, den ich ihm zuschickte, traf noch seine seifenschaumene Hälfte. Weiter. Endlich mündeten wir auf einen lindenumstellten Platz, der die »Freiheit« hieß. Wir nahmen es als selbstverständlich hin. Warum sollte hier nicht Freiheit sein?
Der Eindruck des Öden, den die ganze Stadt macht, an dieser Stelle steigert er sich, denn hier war einmal Leben. Unter den Fenstern des ersten Stockes hin ziehen sich lange Wirtshausschilder: »Stadt Halle«, »Stadt Leipzig«, die sich fast wie Grabschriften lesen über einer Zeit, die nicht mehr ist. Hier führte vor fünfzig oder hundert Jahren die große Straße von Sachsen vorüber, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund hatte damals eine Bedeutung etwa wie Wittenberge heut oder irgend sonst ein Platz, an dem der Koffer untersucht und die Sprache des deutschen Biedermannes in der Maut- und Zollnuance gesprochen wird. Das ist nun alles dahin. Die geschlossenen Fenster zeigen nichts mehr als lange Rouleaux, deren in der Schräge schwebende Landschaften auf ein völlig gestörtes Roll- und Räderwerk deuten; alle Krippen stehen leer, und müde vom Warten, haben sie sich an die Wand gelehnt. Die Hühner picken drum herum. Wo sie's hernehmen, Gott weiß.
Ein eignes Geschick ist um gewisse Städte wie um gewisse Menschen her. Sie sind anmutig, alles scheint für sie zu sprechen, und sie können es nichtsdestoweniger zu nichts bringen. So Saarmund. Einer der vielen Orte, die nicht leben und nicht sterben können und nur dazu da sind, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein sentimentales Gefühl zu wecken.
An einem der Prellsteine von »Stadt Leipzig«, wo der Weg nach rechts hin abbiegt, stand ein Mann in mittleren Jahren, mit einem guten, zuverlässigen Gesicht. Seine Kappe hatte den Schnitt einer alten Landwehrmütze, sein Rock aber einen Stehkragen von dunkler Farbe. Eine Art Nachtwächterblau. Mir lagen immer noch die »Nutheburgen« im Kopf, nach denen ich meine Suche nicht ohne weiteres aufgeben wollte. Das ist dein Mann, dacht ich, und ließ halten.
»Sind Sie von hier?«
»Ja.«
»Das ist schön. Da kennen Sie gewiß die Nutheburgen?«
Der Ausdruck seines Gesichts ließ keinen Zweifel darüber, daß dieses Wort mit dem balladesken Doppel-U zum ersten Male sein Ohr traf. In seiner Antwort geriet er vom Hundertsten ins Tausendste, stolperte zwischen allerhand Lokalbezeichnungen wie
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