Wanderungen durch die Mark Brandenburg 4. Spreeland.: Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow
Geschwornengerichten besprochen und bestimmt ward, ob jemals ein Werneuchener Bürger-Bauer das bekannte Messer in den Baum am Kreuzweg gebohrt oder nicht, wird wohl nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelangen, unsere Kenntnis über die Sitzungen der Werneuchener »Wröh« datiert erst aus den unromantischen Zeiten des Allgemeinen Landrechts, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die »Wröh« unter die stille Superintendenz eines Magistrats und der schon vorerwähnten Doppel-Bürgermeisterei gekommen war. Die Gerichtsbarkeit der »Wröh« war eine durchaus enge geworden und beschränkte sich darauf, in wöchentlichen oder monatlichen Sitzungen den Schadenersatz festzustellen, den das Vieh des einen Bürgers oder Bauern den Feldern oder sonstigem Besitztum des andern zugefügt hatte. Stimmenmehrheit entschied, und ohne Streit oder weiteren Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten dreißig Jahre haben uns in den »Schiedsgerichten« etwas Ähnliches wiedergebracht, aber was dieser trefflichen Neuschöpfung im Vergleich zu jener alten fehlt, ist die fremd und mystisch klingende Bezeichnung, und wir begreifen vollkommen den Stolz eines Werneucheners, der von den Zeiten der »Wröh« spricht wie ein Lübecker von der Hansa und ihrer Ostseeherrschaft.
Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch seinen Lindenplatz zwischen Pfarrhaus und Kirchhof und, was mehr sagen will, auch noch die vier Feldsteine und sein »Wröh«. Wir kommen aber nicht in heißer Junischwüle von Berlin, um einer Sitzung des letzten Ausläufers der Feme voll Schweigen und Ehrerbietung beizuwohnen – wir haben ein andres Ziel vor Augen: einen Besuch in der Pfarre.
Dorf Blumberg liegt längst hinter uns und nun auch Seefeld und Löhme, zwei Zwillingsdörfer, die von hüben und drüben ihre völlig gleichen Kirchturmspitzen im Wasser des Löhme-Sees spiegeln. Aber der Werneuchner Kirchturm neckt uns noch immer, und ermüdet vom langen Marsche, halten wir inne, stützen uns, nach hinten übergebogen, auf unseren Stock und lüften mit der Linken den Hut, um uns die Stirne vom Winde kühlen zu lassen. Da plötzlich ist es, als hörten wir etwas wie Peitschenknall und Pferdeschnaufen, und zurückblickend bemerken wir einen offenen Wagen, der, den Sand des Weges aufwirbelnd, in raschem Trab uns folgt. Und im nächsten Augenblicke schon ist er so nahe, daß wir seine Insassen bequemlichst zählen können. Es sind ihrer fünf. Vorne der Kutscher mit zwei blondköpfigen Jungen und dahinter, auf dem eigentlichen Sitze des Wagens – der in vier Lederriemen hängt und bei jeder Bewegung hin- und herschaukelt –, ein wohlgenährtes Ehepaar, allem Anscheine nach zwischen dreißig und vierzig. Die Frau hält einen aufgespannten Regenschirm, den sie mit vielem Geschick à deux mains zu gebrauchen weiß, indem sie das rote Dach als Schutz gegen die Sonne, den Griff aber als Krückstock benutzt, um die beiden Jungen in Ordnung zu halten, die des eng zugemessenen Raumes halber in beständiger Fehde sind und aller Contrôle zum Trotz ihren still erbitterten Kampf mit den Ellenbogen fortsetzen. Zwischen der Sitzbank und dem schrägen Hinterteile des Wagenkorbs ist noch ein leerer Raum, und unsere Kenntnis ähnlicher Fuhrwerke läßt uns erraten, daß hier ein Häcksel- oder Futtersack verborgen sein müsse, der schließlich nichts dagegen haben würde, wenn wir uns entschlössen, die letzte Viertelmeile des Wegs auf seinem Polster zurückzulegen. Und wirklich, wir schwingen uns hinein, und unsere Tarnkappe hervorziehend, unser selbstverständliches und allerwichtigstes Reisenecessaire, sitzen wir jetzt unbemerkt auf dem Häckselsack und werden zu glücklichen Zeugen all der kleinen Erziehungs- und Unterhaltungsszenen, die sich mehr und mehr zu einer gemütlichen Familienkomödie gestalten.
Unmittelbar vor uns, auf einer für unsere Füße frei gebliebenen Stelle, liegt ein Spielzeug, jenes mit Glöckchen und Schellen behängte Blechinstrument, das unter dem Namen der »Janitschar« das Entzücken aller Kinderherzen bildet. Der Raum ist so eng, daß wir's trotz äußerster Vorsicht nicht vermeiden können, die Glöckchen gelegentlich zu berühren, und jedesmal, wenn es klingelt und tingelt, drehen sich alle fünf Köpfe nach uns um, in leiser Ahnung, daß es auf dem Häckselsacke nicht ganz richtig sei. Diese Kopfwendungen, die der starken Frau jedesmal äußerst schwer werden, geben uns eine gute Gelegenheit, unsere bis dahin nur von Rücken und Seite her gesehene
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