Wanderungen Durch Die Mark Brandenburg: Band 3, Havelland
irgendein Vergehen mit gewaltsamem Tode gebüßt habe. Aber auch dieser, wiewohl sein Leben allerhand Unkorrektheiten aufweist, ist natürlichen Todes gestorben. Auch sein Leben läßt sich bis zu seiner letzten Stunde verfolgen. Er war unglücklich verheiratet, entfloh mit einer Baronesse Blumenthal, trat in österreichische Dienste, verheiratete sich ein zweites Mal und starb zu Breslau, nachdem er vorher, auf ein salvum conductum gestützt, für kurze Zeit im Brandenburgischen eingetroffen war, um seine Angelegenheiten zu ordnen. Auch er also ist es nicht. Alle weiteren von mir angestellten Fragen und Untersuchungen sind erfolglos geblieben. Niemand weiß, wer der Enthauptete in der Falkenrehder Gruft ist. Nur das eine scheint festzustehen: kein von Weiler. Die Archive, die Akten des Feldzeugamts geben keine weitere Auskunft. Die Hoffnung ist schwach, dieses Dunkel je gelichtet zu sehen.
Auf der Dorfstraße, unter den vielen Neugierigen, die uns daselbst empfingen, befand sich auch mein Reisegefährte, der, wie jene, nur das Resultat unserer Expedition hatte abwarten wollen. Das lag nun vor, soweit es vorliegen konnte. Er bestieg also seinen Wagen, der uns glücklich bis Falkenrehde gebracht hatte, um seinerseits weiter ins Havelland hinein zu fahren. Ich meinesteils nahm herzlichen Abschied von ihm und meinem Kantor und schritt auf den Krug zu, um daselbst den Nauener Omnibus abzuwarten. In zehn Minuten mußte er dasein.
Die Krugstube war nicht viel größer als die Gruft, aus der wir eben kamen, aber es sah bunter darin aus. In einer Ecke hatte sich ein Kartentisch etabliert; ihm gegenüber saßen zwei alte Frauen, von denen die eine, in allerhand schottisch karierte Lappen gekleidet, an die Norne in Walter Scotts »Piraten« erinnerte. Beide tranken Kaffee und pusteten über die vollen Untertassen hin. Was sonst noch da war, durchschritt den Stubenkäfig, am unruhigsten unter allen ein hübscher, blonder Mann, Mitte dreißig, dessen Gesamthaltung, trotz einer gewissen weltmännischen Tournure, unverkennbar auf ein mühevoll absolviertes Obertertia hindeutete. Er hatte das Bedürfnis zu sprechen.
»Halb neune wird es wohl werden«, hob er an.
»Halb neun! Ich bitte Sie, das wäre ja furchtbar. Fahren Sie auch bis Potsdam?«
»Ja. Ich wohne in Potsdam. Ein teures Pflaster. Aber was will man machen? Die Erziehung, die Schulen... Ich bin Regierungsbeamter. Was nutzen einem 100 Taler mehr in Schlochau oder Deutsch-Krone? Als Familienvater...«
»Haben Sie mehrere Kinder?«
»Drei. Lauter Jungen. Und sehen Sie, das ist es eben. Ein Mädchen kann in Deutsch-Krone besser gedeihen als in Potsdam, aber ein Junge – was ist ein Junge ohne Gymnasium! Ich bin Regierungsbeamter. Ich kann meinen Kindern nichts mitgeben, außer Bildung, aber daran halt ich fest.«
»Wissen Sie, man muß es nicht überschätzen. Der innere Mensch...«
»Freilich, der innere Mensch bleibt immer die Hauptsache. Es muß drinstecken. Aber eine Kinderseele ist eine zarte Pflanze. Vorbild, Beispiel, elterliches Haus...«
In diesem Augenblicke (mir durchaus gelegen) erschien der Kutscher des inzwischen eingetroffenen Omnibus in der Tür, um allen Anwesenden, in einer Sprache, die mehr Vertraulichkeit als Respekt ausdrückte, das Signal zum Aufbruch zu geben. Alles drängte hinaus, und fünf Minuten später saßen wir, eng zusammengerückt und fest wie ein Spiel alter Karten, auf den beiden Längssitzen des Wagens. Die Pferde zogen an, und beinahe gleichzeitig rief eine Stimme aus dem Hintergrunde des Wagens: »Fenster zu, daß es warm wird.« Feste Kommandos werden immer befolgt. Eine geschäftige Hand zog sofort an der Lederstrippe, das alte Klapperfenster flog in die Höhe, und dreizehn Personen, drei Zigarren und eine kleine Tranlampe, die zunächst noch ganz keck und lustig brannte, unterzogen sich jetzt der gewünschten Erwärmungsaufgabe.
Als ich mich orientiert hatte, sah ich, daß der Schlachtschrei »Fenster zu« nur von der alten Norne gekommen sein konnte. Sie zog nunmehr eine bunte Kapuze über das graue Haar, packte ein Paar Handschuhe ohne Finger in einen Korb, den sie auf dem Schoße hielt, und sagte dann zu ihrem Nachbar, einem bärtigen, graumelierten, mittelalterlichen Herrn: »Sehen Sie, Herr Inspektor, wir sammeln und verlieren.«
»Jawohl, Mutter Sootzmann«, erwiderte der Angeredete, der die Alte ganz ersichtlich beschwichtigen wollte.
»In Nauen haben wir gesammelt, in Wustermark und Dyrotz haben wir verloren, in
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