Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Kapitulations-
paragraphen, in die Gefangenschaft abgeführt.
Ruhmlos war das Ende. Das Schicksal des Ganzen
bestimmte das Los des einzelnen. Ein Gericht vollzog
sich, zu groß, zu gewaltig, als daß sich die Krittelei
der Menschen, tadelnd oder besserwissend, daran
versuchen sollte. Dennoch bleibt wahr, was General
von der Marwitz in seinen Memoiren über Pasewalk
und Prenzlau geschrieben hat: »Diese Kapitulationen
gaben das Signal zu allem, was folgte; sie recht eigentlich überlieferten die Festungen. ›Der König hat
keine Armee mehr, was helfen ihm noch einige Städ-
te‹, so dachte jeder pflichtvergessene Kommandant.
Die Kapitulationen pflanzten den Kleinmut in alle
Herzen, streuten die Vorstellungen von Verrat unter
das Volk und verbreiteten den jede Tatkraft lähmen-
den Gedanken, ›daß doch alles verloren‹ sei. Wie eine große mannhafte Tat fortwirkend Größeres erzeugt und aus Männern Helden macht, so sind auch
umgekehrt mit der Vollbringung einer schmählichen Tat deren Folgen nicht abgeschlossen, sie bleibt verdammt, fortwährend Mattes und Schwaches zu er-
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zeugen, wirkt wie ein schleichendes Gift und macht
Männer zu Weibern.«
1. Die beiden Grenadiercompagnien des Re-
giments nahmen ihre Richtung auf Erfurt.
Dort haben sie wahrscheinlich am 16. Oktober
schon mitkapituliert.
Nachspiel
Die Trümmer des Regiments Prinz Ferdinand hatten
bei Pasewalk kapituliert und wurden in größeren und
kleineren Trupps in die Gefangenschaft abgeführt.
Viele befreiten sich unterwegs, und ihre Erzählungen
bildeten, bis die Ereignisse des Jahres 1813 dazwi-
schentraten, die Lieblingsunterhaltung auf der Bier-
bank und am häuslichen Herd. Manches davon hat
Prediger Heydemann in seinem schätzenswerten Bu-
che »Neuere Geschichte der Stadt Ruppin« aufge-
zeichnet.
»Einer«, so erzählt Heydemann, »hatte darauf ge-
rechnet, daß die Gefangenen von Pasewalk über Ber-
lin geführt werden würden. Dort gedachte er zu ent-
springen und bei seiner Schwester Zuflucht zu su-
chen. Aber die Gefangenen, von französischen Chas-
seurs transportiert, mußten über Templin, Oranien-
burg und Potsdam marschieren. Kurz vor Potsdam
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wurden sie von Nassau-Usingern und Hessen-
Darmstädtern übernommen, die sehr streng mit ih-
nen verfuhren. Man las ihnen vor, daß jeder Gefan-
gene, der auf der Flucht ergriffen würde, ohne weite-
res die Kugel vor den Kopf bekäme, und so geschah
es auch bei Wittenberg, wo zwei wieder eingefange-
ne Flüchtlinge vor der Front erschossen wurden.
Meistens mußten die Gefangenen nachts unter frei-
em Himmel liegen, ihr Schuhzeug war zerrissen. In
Fulda (human genug) wurden 200 Paar Schuhe ver-
teilt. An ebendiesem Ort erkrankte auch der Gefan-
gene, über dessen Schicksal ich hier berichte. Er
beschloß, trotz Krankheit, weiter mitzumarschieren
und die nächste Gelegenheit wahrzunehmen. Und
diese fand sich denn auch. In Steinau wurd er mit
seinen Mitgefangenen in die Kirche gesperrt, in die
bald danach ein alter Mann eintrat, um ihnen Essen
zu bringen. Den bat er ohne weiteres, ihn zu befrei-
en. ›Wes Glaubens bist du?‹ – ›Lutheraner.‹ – ›Gut
dann will ich dir helfen. Ich habe sieben Kinder; wer
weiß, wer ihnen einmal hilft.‹ Und er bracht ihm
wirklich alte Kleidungsstücke, die der Gefangene bei
Dunkelwerden anzog und in denen er gleich danach
unter eine Bank kroch, um von den Aufpassern nicht
erkannt zu werden. Da lag er denn in bitteren Ängs-
ten die Nacht hindurch und nahm seine Zuflucht zum
Gebet. ›Befiehl du deine Wege‹, sagte er zu allen
seinen Versen zu vielen Malen vor sich her, bis er
Trost und Ruhe darin fand. Und endlich brach der
ersehnte Morgen an. Da kam, samt andern Leuten,
auch der alte Mann wieder, mit zwei Töpfen in der
Hand, als wenn er dem Gefangenen etwas zu essen
bringen wolle. Die Töpfe waren aber leer. Er gab sie
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nun dem umgekleideten Soldaten, und dieser ging
unerkannt zur Kirche hinaus. Erst acht Tage nach
Ostern traf der auf diese Weise glücklich Entkomme-
ne wieder in Ruppin ein. Ein volles halbes Jahr war
seit dem Kapitulationstage vergangen.«
Der Rest der Gefangenen passierte den Rhein und
wurde zum größten Teil in und um Nancy interniert.
Andere sahen sich bis in die Pyrenäen geschleppt
und da keine Nachrichten von ihnen eintrafen, schuf
ihr Schicksal Sorge und Ungewißheit in vielen Her-
zen. Auch äußere Not blieb nicht aus,
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