Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Bitten, auch nicht, daß
scharf druntergefuchtelt wurde. Ich meinerseits ließ
mich in meiner jugendlichen Ekstase zu einem Fuß-
fall verleiten. Erfolgloses Bemühen! Einem sechzehn-
jährigen Tambour unsres 1. Bataillons war es endlich
vorbehalten, die Ordnung wieder herzustellen. Er
sprang aus dem verworrenen Knäul heraus und
schlug, ganz allein vorgehend und aus Leibeskräften,
mit einem Trommelstocke den Sturmmarsch. Das half! Unser Bataillon machte Front, und das verlorene Terrain ward um so leichter wiedergewonnen, als
der Feind, in Befürchtung eines diesseitigen Kavalle-
rieangriffs, überhaupt gar nicht gefolgt war. Major
von Othegraven vom brandenburgischen Infanterie-
regiment (jetzt Nr. 12) hat diese Handlung des Tam-
bours, unmittelbar nach der Schlacht, als Zeuge zur
Sprache gebracht. Der Lohn des Tapferen war das
Eiserne Kreuz. Seinen Namen hab ich vergessen,
aber er selbst lebt in meiner Erinnerung als ein
Hauptheld des Tages fort.
Mit dem Dunkelwerden war auf dieser Seite von
Leipzig der Sieg erfochten, und General von Horn
ließ das Leibregiment einen großen Kreis schließen
und einige Hautboisten ›Nun danket alle Gott!‹ bla-
sen. Da die Brigaden ganz nahe beieinander standen
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und die Gewehre zusammengesetzt hatten, während
es bei den Vortruppen immer noch knallte, so dräng-
te sich alles zusammen, und ich werde den ungeheu-
ren Eindruck nie vergessen, den es auf die Herzen
aller Anwesenden hervorbrachte, als der General,
nachdem das Lied verklungen war, sich mit uns allen
auf die Knie warf und entblößten Hauptes ein lautlo-
ses Gebet verrichtete.
Das war ein freiwilliger Gottesdienst!
Nachdem die Bivouacs für die Nacht bezogen waren,
wurd Appell gehalten – ein trauriger Appell! Wir hat-
ten wohl zwei Drittel unserer Leute eingebüßt. Unser
vortrefflicher Regimentskommandeur, Major von
Laurens, war, an der rechten Hand schwer verwun-
det, zurückgebracht worden. Major von Pfindel, ein
lustiger, mitten in der Schlacht singender Stabsoffi-
zier, war zum Tode getroffen und starb bald nachher
in Halle.
Am Bivouacsfeuer wurde verzehrt, was jeder bei sich
führte. Dann ruht ich ungestört bis zur Reveille, wo-
bei mir und einem andern Kameraden der halbnackte
Leichnam eines französischen Offiziers als Kopfkissen
diente.
Der Morgen des 17. Oktober war regnicht und kalt.
Jeder Lebende und Gesunde freute sich aber dan-
kend seines Daseins, und das Frühstück – schwarzer
Kaffee mit Rum – mundete herrlich. Das halb ver-
schimmelte Kommißbrot schmeckte wie Marzipan.
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Der alte Hünerbein ging mit uns auf dem nahe gele-
genen Schlachtfeldterrain umher und wendete mit
seinem Krückstock die schon ihrer Kleider beraubten
Leichen von Freund und Feind um, wenn sie, wie
gewöhnlich, auf dem Bauche lagen und mit ihren
Zähnen ins Gras gebissen hatten. Und hier war es
auch, wo wir die erschütternde Szene erlebten, daß
unser Premierlieutenant von Kessel seinen getöteten
Bruder vom brandenburgischen Regiment erkannte
und ihn durch Soldaten unseres 1. Bataillons in ein
Grab verscharren ließ.«
So Oberst Goßlar über den »Tag von Möckern«, den
er als junger Offizier mitgemacht hatte.
Die Verluste waren enorm, selbst die von Vionville
und St-Privat verschwinden daneben. Sie stellten
sich wie folgt: 1. Bataillon, 415 Mann stark, ver-
lor 235; 2. Bataillon, 513 Mann stark, verlor 387;
3. Bataillon, 389 Mann stark, verlor 136. Gesamtver-
lust, einschließlich von 15 Freiwilligen Jägern,
773 Mann. Dazu 12 Offiziere. Major von Laurens
(schwer verwundet) erhielt das Eiserne Kreuz
1. Klasse. Nur 559 Mann stark zog unser Regiment
dem Rheine zu. Es wuchs aber unterwegs.
1. Bei diesem Vorbrechen unserer beiden Batail-
lone litten dieselben außerordentlich durch
Gewehrfeuer, das sie von links her empfin-
gen. Am Fuße des Abhangs, hart an der Wü-
tenden Neiße und durch Buschwerk dem Bli-
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cke nahezu entzogen, steckten feindliche Ti-
railleurs. Gegen diese warf sich aus eignem
Antriebe Lieutenant von Gaza mit dem 4. und
5. Zuge seines 3. Bataillons, vertrieb sie und
setzte sich seinerseits in den Büschen fest.
Hier befand er sich nunmehr auf ebendem
Terrain, auf dem eine Stunde später die Rei-
terschlacht hin und her wogte. Erst von preu-
ßischer Kavallerie niedergeritten, sah er sich
plötzlich mit seinen Leuten unter den Säbeln
siegreich vordringender französischer Husa-
ren. Er suchte die
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