Wanderungen durch die Mark Brandenburg
hat sich daran gewöhnt,
den Konzertsaal und das Studierzimmer als die allei-
nigen Sehenswürdigkeiten des Schlosses anzusehen.
Die Zimmer des Prinzen Heinrich, Prinz Heinrich
selbst, alles ist bloße Zugabe, Material für die Rum-
pelkammer. Das harte Los, das dem Prinzen bei Leb-
zeiten fiel, das Geschick, »durch ein helleres Licht
verdunkelt zu werden«, verfolgt ihn auch im Tode
noch. An derselben Stelle, wo er durch fast zwei
Menschenalter hin gelebt und geherrscht, geschaffen
und gestiftet hat, ist er ein halb Vergessener, bloß
weil der Stern seines Bruders vor ihm ebendaselbst geleuchtet. Und ein Teil dieses Mißgeschicks wird
auch bleiben. Aber es ist andrerseits nicht unwahr-
scheinlich, daß die nächsten fünfzig Jahre schon Ver-
dienst und Klang des Namens mehr in Harmonie
bringen werden. Um es mit einem Wort zu sagen:
dem Prinzen hat der Dichter bis zu dieser Stunde
gefehlt. Von dem Augenblick an, wo Lied, Erzählung,
Schauspiel ihn unter ihre Gestalten aufnehmen wer-
den, werden sich auch die Prinz-Heinrich-Zimmer im
Rheinsberger Schlosse neu zu beleben anfangen, und
die Kastellane der Zukunft werden zu berichten wis-
sen, was in dieser und jener Fensternische geschah,
wer den Blumenkasten übergab und unter welchem
Kastanienbaum der Prinz seinen Tee trank und mit
einem freudigen »Oh, soyez le bien venu« sich er-
hob, wenn Prinz Louis am Schloßtor hielt und la-
chend aus dem Sattel sprang.
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Historische Gestalten teilen nicht selten das Schick-
sal alter Statuen. Einzelne stehen durch ein Jahrtau-
send hin immer leuchtend und immer bewundert auf
dem Postament ihres Ruhmes; andere werden ver-
schüttet oder in den Fluß geworfen. Aber endlich
kommt der Moment ihrer Wiedererstehung, und nun
erst – neben den glücklicheren neu aufgerichtet –
erwächst der Nachwelt die Möglichkeit des Ver-
gleichs.
Es muß zugegeben werden (und ich habe bereits in
dem Kapitel »Die Kirche zu Rheinsberg« darauf hin-
gewiesen), daß etwas prononciert Französisches in
Sitte, Gewöhnung, Ausdruck sowie das geringe Maß
jener kurbrandenburgischen Derbheit , die wir an Friedrich dem Großen, all seiner Voltaire-Schwärmerei zum Trotz, so deutlich erkennen und so
sehr bewundern, der Volkstümlichkeit des Prinzen
Heinrich immer hindernd im Wege stehen wird, es
fehlt aber auch noch viel bis zu jenem bescheidene-
ren Teile von Popularität, worauf er unbedingten An-
spruch hat. Seine Repliken waren nicht im Stile des
älteren Tauentzien, als dieser, unter Androhung,
»daß man das Kind im Mutterleibe nicht schonen
werde«, aufgefordert wurde, Breslau zu übergeben;
aber wenn er in seinen Antworten auch nicht dem
Richard Löwenherz glich, der mit seinem Schwert ein
zolldickes Eisen zerhieb, so glich er doch dem Sal-
adin, der mit seiner Halbmondklinge das in die Luft
geworfene Seidentuch im Niederfallen durchschnitt.
Nur selten war er derb, rauh nie.
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Wir sind nun in den Park getreten. Er umzieht in weitem Halbkreise die linke Hälfte des Sees und geht
am jenseitigen Ufer unmittelbar in die schönen
Laubholzpartien des Boberow-Waldes über. Der Park
ist eine glückliche Mischung von französischem und
englischem Geschmack, zum Teil planvoll und ab-
sichtlich dadurch, daß man die Le Nôtreschen Anla-
gen durch Partien im entgegengesetzten Geschmack
erweiterte, zum Teil aber planlos und unabsichtlich
dadurch, daß sich das zwang- und kunstvoll Ge-
machte wieder in die Natur hineinwuchs. Die ur-
sprüngliche Anlage soll das Werk eines Herrn von
Reitzenstein gewesen sein, der schließlich (wie das
zu geschehen pflegt) in verleumderischer Weise be-
schuldigt wurde, die Kriegsabwesenheit des Prinzen
zu seinem Vorteil benutzt und unredlich gewirtschaf-
tet zu haben. Als er von dieser gegen ihn umgehen-
den Verleumdung und beinahe gleichzeitig auch von
der nahe bevorstehenden Rückkehr des Prinzen hör-
te, gab er sich den Tod, »indem er einen Diamanten
verschluckte«. So das Volk. Es liegt auf der Hand,
daß hier der nach dem Abenteuerlichen haschende
Sinn desselben eine komische Substituierung ge-
schaffen hat. Ein verschluckter Diamant ist um nichts
schädlicher als ein verschluckter Pflaumenkern, und
so glaub ich denn bis auf weiteres annehmen zu dür-
fen, daß sich von R. ( wenn überhaupt ) einfach durch Blausäure, durch essence d'amandes, getötet hat,
aus welch letztrem Worte, lediglich nach dem Gleich-
klang, ein Diamant
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