Wanderungen durch die Mark Brandenburg
abwechselnd das
Bahnhofstreiben und das Bahnhofsgebäude.
»Neustadt an der Dosse... Hier ist ja wohl eine
Forstakademie?«
Der Angeredete, den ich meinen Lesern kurzweg als
einen Onkel Bräsig der Neustädter Territorien vor-
stellen möchte, verbeugt sich artig und antwortet:
»Nein, meine Gnädigste, die Forstakademie ist in
Neustadt-Eberswalde.«
»Richtig. Ich meinte ein Irrenhaus.«
»Bitte um Entschuldigung, das ist auch in Neustadt-Eberswalde.«
»Aber ich dächte doch...«
»Ganz richtig, hier ist ein Gestüt .«
»Ein Gestüt?«
»Ja. Sehen Sie dort.«
»Aber mein Gott das ist ja eine Kirche.«
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»Verzeihung, ich meine weiter links, dort, wo die
Pappeln stehen.«
»Ah, so; dort.«
»Es gibt nämlich, wenn Sie sich dafür interessie-
ren...«
»Oh, bitte.«
»... ein königliches und ein Landesgestüt, und durch
Heranziehung arabischer...«
»Ah, so... Wie weit haben wir noch bis Wittenber-
ge?«
Der Zug rasselt inzwischen weiter. Nur der Leser und
ich sind ausgestiegen, um Neustadt, an dem wir
zahllose Male vorübergefahren, endlich auch in der
Nähe kennenzulernen. Ein anmutiger Spaziergang,
bei sinkender Septembersonne, führt uns ihm entge-
gen. Unterwegs, von einer Brückenwölbung aus, er-
freut uns der Blick über einen weiten Wiesengrund
und die kanalartig regulierte Dosse. Fünf Minuten
später haben wir die Stadt erreicht, eine einzige
Straße, darauf rechtwinklig eine andere mündet. Da,
wo sich beide berühren, erweitern sie sich und bilden
einen Marktplatz, an dem die »Amtsfreiheit« und die
Kirche gelegen sind. Am äußersten Ende der Längs-
straße das Gestüt . Auf einen Besuch dieser berühm-636
ten Vorbereitungsstätte für unsere Kavalleriesiege
verzichten wir und begnügen uns damit, unsere
Aufmerksamkeit auf Stadt und Vorstadt und inson-
derheit auf die Geschichte beider zu richten.
Diese (wenigstens bis in die zweite Hälfte des sieb-
zehnten Jahrhunderts) ist in wenig Zeilen erzählt.
Burg oder Schloß Neustadt gehörte 1375, wie das
Landbuch Kaiser Karls IV. ausweist, dem Lippold von
Bredow. Später an die Ruppiner Grafen übergehend,
war es zeitweilig den Quitzows, den Bredows, den
Rohrs verpfändet, bis es, nach dem Erlöschen des
gräflichen Hauses von Lindow-Ruppin (1524), dem
Kurfürsten zufiel. Aber neue Pfandinhaber folgten,
und erst 1584 kam es erb- und eigentümlich an Rei-
mar von Winterfeldt. Die Winterfeldts besaßen es bis
zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, an dessen
Ende wir Neustadt plötzlich in eine Epoche berühm-
ter historischer Namen eintreten sehen. Es waren
dies:
Feldmarschall Graf Königsmarck von 1644 bis 1662;
Prinz Friedrich von Hessen-Homburg von 1662 bis
1694;
Eberhard von Danckelmann (nicht als Besitzer, aber
als kurfürstlicher Amtshauptmann) von 1694
bis 1697.
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Nach dieser Zeit hören die historischen Namen wieder auf, und »Amt Neustadt« wird ein kurfürstliches
respektive königliches Amt wie andere mehr.
Aus der Graf Königsmarckschen Zeit ist wenig zu
berichten. Der Graf hat mutmaßlich seine Neustädter
Besitzungen nie gesehen, begnügte sich vielmehr
damit, sie durch seinen Regimentsquartiermeister
Liborius Eck in allerdings mustergiltiger Weise ver-
walten zu lassen. 1662 ging das Gut, wie schon vor-
stehend erwähnt, an den Hessen-Homburger Prinzen
über, wodurch ein Zeitabschnitt eingeleitet wurde,
bei dem wir eingehender zu verweilen haben werden.
Prinz Friedrich von Hessen-
Homburg
Nehmt den besten Reiterhaufen,
Folgt dem Feind und macht ihn laufen,
Aber laßt Euch nicht verleiten,
Ernstlich Euch herumzustreiten.
Prinz Friedrich von Hessen-Homburg, dies sei voraus
bemerkt, war vor allem nicht der , als der er uns in dem H. von Kleistschen Schauspiel entgegentritt. Der
H. von Kleistsche und der historische Prinz von Hom-
burg verhalten sich zueinander wie der Goethesche
und der historische Egmont. Sie waren in der Zeit,
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wo sie hervortraten, keine Liebhaber und keine
Leichtfüße mehr, vielmehr ernste Leute von mittleren
Jahren und reichem Kindersegen, überhaupt ebenso
gute Ehemänner wie Patrioten.
Unser Prinz Friedrich ward am 30. Mai 1633 geboren.
Er war der zweite Sohn des Landgrafen Friedrich von
Hessen, des Stifters der homburgischen Linie. Er trat
jung in schwedischen Dienst, war 1658 mit vor Ko-
penhagen und verlor bei dieser Belagerung ein Bein.
Dasselbe wurde künstlich ersetzt, weshalb er seit-
dem der »
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