Wanderungen durch die Mark Brandenburg
zu kämpfen. Und wenn sie dann
heimkehren, können sie oft ihr Dorf nicht finden, weil
es in Schnee versunken ist.« Dann fragte Jacqueline:
»Und wie sehen diese Menschen aus?«, worauf dann
Otto von Rohr erwiderte: »Genau wie ich, Jacque-
line.« Und dann lachten sie beide und hörten nicht,
daß ein leises Rauschen, wie ein Klageton, durch den
Wipfel der alten Akazie ging.
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Denn der alte Baum, der das Leben kannte, wußte,
was bevorstand: Trennung . Sie kam; der Basler
Frieden machte den Gefangenen frei. Wieviel Schwü-
re wurden laut, wieviel Tränen fielen. Eines Tages
aber lag alles zurück wie ein Traum, und nur zweier-
lei war noch wahr und wirklich: das Leid im Herzen
Jacquelines und eine kleine seidengestickte Henkel-
börse, die sie dem Scheidenden zum Abschiede ge-
reicht hatte. Darin befand sich eine Schaumünze mit
ihrem Lieblingsheiligen darauf und – ein Samenkorn
von dem Akazienbaum, unter dem sie so oft geses-
sen.
Dies Samenkorn ist in Trieplatz aufgegangen. Es ist
derselbe Baum, der (womit wir diese Erzählung einleiteten) vom Park aus in das Gartenzimmer blickt.
Urania von Poincy
Die Tage von Nogent-sur-Seine lagen über ein Men-
schenalter zurück. Da (dasselbe Jahr noch, in dem
unser Otto von Rohr, inzwischen zum General und
Präsidenten hoher Kommissionen emporgestiegen,
aus dieser Zeitlichkeit schied) knüpften sich neue
Beziehungen zwischen Frankreich und – Trieplatz.
Noch einmal gewann ein Rohr ein französisches
Frauenherz. Und diesmal keine Trennung, oder doch
keine andere als durch den Tod!
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Moritz von Rohr, ein Neffe Ottos, stand 1838 bei ei-
nem rheinischen Regiment in Saarlouis. Er war zwei-
undzwanzig Jahr alt groß und schlank. Der Winter
brachte Maskenbälle wie gewöhnlich, und auf einem
dieser Bälle war es, daß Moritz von Rohr die Be-
kanntschaft Urania de Poincys machte, der schönen
Tochter des Herrn und der Frau von Poincy, die sich
damals, sei es erziehungs- oder zerstreuungs- oder
gesundheitshalber, in Saarlouis aufhielten. Dieser
Ball entschied über das Leben des jungen Paares; die
leidenschaftliche Liebe, die beide füreinander hegten,
überwand jedes Hindernis, Moritz von Rohr erbat und
erhielt seinen Abschied, und in demselben Winter
noch erfolgte die Trauung zu Notre-Dame in Paris.
Der Hindernisse, deren ich eben erwähnte, waren
nicht wenige: Die Familie de Poincy war nicht mehr
jenseits des Rheines , sie war jenseits des Ozeans zu Hause, seitdem der Großvater der jungen Dame das
vom Schrecken regierte Frankreich Anno 93 gemie-
den und, nach Amerika flüchtend, erst in Kuba, dann
in Neuorleans sich niedergelassen hatte. Dort lebten
sie jetzt in hohem Ansehen: der Name de Poincy war
der Name einer Handels firma geworden. Selbstver-ständlich lag nicht hierin die Schwierigkeit; die Rohrs dachten niemals gering von bürgerlicher Hantierung,
am wenigsten vom Großhandel, der mit eigenen
Schiffen die Meere befährt, aber der Weg von der
Dosse bis an den Mississippi war doch weit, und ein
Rohrsches Herz hält fest an Wusterhausen und
Trieplatz.
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Dies waren die Schwierigkeiten. Die Liebe des jungen Paares indes, wie schon angedeutet, überwand sie.
Moritz von Rohr trat in das Handelshaus seines
Schwiegervaters ein, und nie wurde brieflich oder
mündlich ein Wort laut, das darauf hingedeutet hät-
te, er habe die Trennung von Vaterland und Familie
bereut. Kein Klagewort, aber auch kein rechtes Wort
des Glücks ! Die nationalen und konfessionellen Unterschiede ziehen eben eine tiefe Kluft, und der Bei-
spiele sind wenige, wo die bloße Sympathie der Her-
zen stark genug gewesen wäre, diese Kluft zu überbrücken. Je feiner und durchgeistigter die Naturen
sind, desto mehr tritt dieses Trennungselement her-
vor. Man liebt sich, aber man ist nicht eins, und jede Freude halbiert sich oder schwächt sich ab, weil sie
nur einmal unter hundert Fällen auf neutralem Gebiet erblüht. Die Herzen stimmen, aber der Gegen-
satz der Geister klingt disharmonisch hinein. Auch
das Glück Moritz von Rohrs und Urania von Poincys
wurde getrübt oder trug wenigstens einen Schleier.
Zehn Jahre nach der Vermählung war dieser Schleier
für die junge Frau zum Witwenschleier geworden.
Moritz von Rohr glaubte sich akklimatisiert und un-
terließ es, im Sommer 1848 die Fieberluft Neuorle-
ans' mit der gesunden Küstenluft am Mexikanischen
Golf zu vertauschen. Er wurde vom gelben Fieber
befallen und
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