Wanderungen durch die Mark Brandenburg
siehst.
Schiller
Die Trauerglocke läutet
Vom Dorfe her.
Wir wissen, was es deutet:
Sie ist nicht mehr.
Fouqué
Von Lindow kommend, fahren wir jetzt Gransee, der
östlichsten Stadt der Grafschaft , zu. Von ihren früheren Tagen erzählt uns ein Baudenkmal, das sich be-
reits 1000 Schritte vor der Stadt erhebt:
Die »Warte« bei Gransee
Sie steht auf dem höchsten Punkte der Umgegend,
dem »Warte- Berg «. Junge Fichten und dichtes Kus-selwerk, drin der Sandhase sein Lager hat, bedecken
ihn an seinen Abhängen, und nur der abgeplattete
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Gipfel ist kahl. Hier erhebt sich die »Warte«, von
fernher einem modernen Fabrikschornsteine nicht
unähnlich, bis man im Näherkommen den bedeuten-
deren Durchmesser erkennt. Es ist ein etwa 100 Fuß
hoher Rundturm, aus Feldstein und sieben senkrecht
stehenden Backsteinrippen derartig aufgeführt, daß
bei der Aufmauerung immer erst die Rippen um einige Fuß erhöht wurden, ehe man wieder mit Feldstein
zu füllen begann. Wie alt der Turm ist, stehe dahin.
Ich möcht ihn frühstens in den Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts setzen.
Der gleichen Ansicht scheint nun freilich W. Alexis
nicht gewesen zu sein, als er ebendiesen Warte-
Turm in seinem berühmten Romane »Der falsche
Waldemar« zum Schauplatz eines Hergangs aus dem
Jahre 1348 machte. Diesen Hergang selbst erzählt er
annähernd wie folgt.
Gransee hatte selbstverständlich seine Fehden mit
dem benachbarten Adel, und zur Waldemar-Zeit wa-
ren es vorzugsweise die Winterfeldts und die Quaste,
mit denen es sich bekriegte. Tile Quast wird eigens
genannt, ebenso Tacke de Wons und Hans Lüddecke
vom roten Haus. Im Jahre 1348 handelte sich's von
seiten dieser drei um nicht mehr und nicht weniger
als einen Überfall der Stadt; solcher war aber nur
möglich, wenn es vorher glückte, den auf der Warte
stationierten Stadtwächter, Mathis mit Namen, ein-
zuschläfern. Dies zu bewerkstelligen, kam man über-
ein, daß ein als Kärrner verkleideten Knecht, der ein
Stückfaß Wein auf seinem Karren habe, die vorüber-
führende Straße passieren und am Fuß der Warte
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halten solle, wie wenn es sich um Ausbesserung ei-
nes Schadens an Rad oder Achse handle. Und so
geschah es auch. Der Karren hielt. Mathis, der sich
langweilen mochte, wie noch heute die Schildwachen
tun, ging ohne Besinnen in die Falle, stieg die Wen-
deltreppe hinunter und bot sich an, bei dem anschei-
nend verunglückten Wagen mit zu helfen. Dabei fan-
den beide, daß der Wein für die Granseer viel zu
stark sei. Sie spundeten also auf, tranken ein Erheb-
liches und füllten mit Wasser nach. Dies geschah
aber erst ganz zuletzt, und Mathis fiel gleich danach
in tiefen Schlaf.
Als er andren Tags bei schon hoch stehender Sonne
wach ward und Umschau hielt, sah er den ganzen
zwischen seinem Turm und der Stadt liegenden Plan
von Bewaffneten überdeckt; in der Tat, der Überfall
hatte bereits stattgefunden. Er war aber doch inso-
weit mißglückt, als die Eingedrungenen wieder hin-
ausgedrängt und einige von ihnen sogar zu Gefange-
nen gemacht worden waren. Unter diesen Hans Lüd-
decke vom roten Haus.
Die Ratmannen ließen nun keine Zeit vergehen, über
diesen (Hans Lüddecke) zu Gericht zu sitzen, aber
nicht bloß über ihn , sondern auch über ihren eignen Turmwart, dessen Unzuverlässigkeit alle Not und
Gefahr verschuldet hatte. Man sprach Tod »von
Rechts wegen«, einigte sich aber schließlich dahin,
daß beide nach der »Warte« gebracht und ihnen zu-
gestanden werden solle, hoch oben auf der Plattform
miteinander zu kämpfen. Wer Sieger bleibe, der solle
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frei sein, wer aber hinabgeworfen würde, der habe
seine Strafe nach »Gottes Willen«.
Und hiernach wurde verfahren. Hans Lüddecke und
Wächter Mathis kamen in den Turm, und die halbe
Bürgerschaft zog mit hinaus, um Zeuge eines Ring-
kampfes und eines Gottesurteiles zu sein. Aber wer
beschreibt ihr Staunen, als sie bald danach die Ver-
urteilten friedfertig auf der Platte des Turmes er-
scheinen und, statt miteinander zu kämpfen, sich zu
einem aus Mathis' Vorratskammer herbeigeschafften
Nachtmahle niedersetzen sahen. Diese gute Laune
freute selbst die Granseer, und um so mehr, als sie
sich unschwer das Ende davon berechnen konnten.
In der Tat, als der fünfte Tag heraufzog, sah es
schlimm aus in den Vorräten und noch schlimmer in
den Herzen der beiden Gefangenen. Aber auch hier
wieder hieß es, »als die Not am
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