Wanderungen durch die Mark Brandenburg
größten, war die
Hülfe am nächsten«, und ehe noch die Sonne in Mit-
tag stand, blitzte es am Waldrande hin von Rittern
und Reisigen, und ein nach Hunderten zählender
bewaffneter Zug wandte sich an der Warte vorüber
der Stadt zu. Der aber, der erschien, war Waldemar.
Vor ihn jetzt kam der Streit und Hans Lüddecke, Ur-fehde schwörend, erhielt Leben und Freiheit zurück.
Mathis dagegen verschwand in dem ihm zukommen-
den Dunkel.
So die Geschichte von der »Warte« bei Gransee, eine
bloße Fiktion, die sich jedoch zur Historie bereits zu
verdichten anfängt und nach »abermals fünfhundert
Jahren« andern Historien einigermaßen ebenbürtig
sein wird. Und nicht zu unserem Nachteil. Denn auch
760
die dichterische Tat belebt die Schauplätze der von ihr , der Dichtung, gebornen Ereignisse und reiht sie mehr oder minder in die wirklichen »historischen
Stätten« ein. Die »Warte« bei Gransee ist in diesem
Augenblicke schon eine andre, als sie vor fünfzig
Jahren war, und selbst das trigonometrische Dreige-
stell, das sich neuerdings auf jener Plattform einge-
bürgert hat »auf der Hans Lüddecke und Türmer
Mathis miteinander kämpfen sollten«, hat ihr nichts
Erhebliches von ihrem romantischen Schimmer zu
nehmen gewußt.
Wir aber kehren nunmehr auf unsre Lindower Straße
zurück, um in raschem Trabe der Stadt zuzufahren,
an deren Eingang uns freilich ein neuer Aufenthalt erwartet. Zwei Tore nebeneinander! Warum zwei
Tore? Diese Frage hält uns fest.
Das Waldemar-Tor
Warum zwei Tore? F. Knuths Geschichte von »Gran-
see« berichtet darüber: »Alle Städte, die dem Fal-
schen Waldemar ihre Tore geöffnet und dadurch sich zu ihm bekannt hatten, wurden, als der bayersche
Markgraf wieder herrschte, dahin bestraft, daß sie
die Tore zumauern mußten, durch die der falsche
Waldemar eingezogen war. Diese zugemauerten Tore
hießen denn auch im Volksmunde ›Waldemar-Tore‹ .
Hart neben ihnen waren inzwischen neue, reichge-
gliederte, mit Türmen und Zinnen geschmückte goti-
sche Tore gebaut worden, die nun, jahrhundertelang,
761
den Verkehr vermittelten, bis das neuerblühende
Leben der Städte den verhältnismäßig schmalen Ein-
gang der gotischen Portale störend zu empfinden
anfing. Da entsann man sich der zugemauerten Tore,
nahm den fünfhundertjährigen Bann von ihnen,
brach die Steine aus dem alten Rundbogen wieder
heraus und schuf so dem Leben und Verkehr eine
doppelte Straße.«
W. Schwartz in seinen »Sagen und alten Geschichten
der Mark Brandenburg« erzählt es anders. Nach ihm
würden die sogenannten Waldemar-Tore als »Wen-
den-Tore« anzusehen sein, durch die man deut-
scherseits die als unrein betrachtete wendische Be-
völkerung vertrieben und die Tore dann vermauert
habe. Hiermit stimmt auch überein, daß noch, bis ins
vorige Jahrhundert hinein, in allen Dörfern, wo Wen-
den und Deutsche zusammenwohnten, nur die
letztren sich der eigentlichen Kirchentüren bedienen
durften, während die Wenden gezwungen waren,
durch eine kleine, für sie besonders angelegte Sei-
tentür in die Kirche einzutreten.1)
In Gransee wurde 1818 schon das Waldemar-Tor –
ein Name, den ich beibehalte – wieder geöffnet und
begann seinem Nachfolger und Nachbar Konkurrenz
zu machen, eine Tatsache, die der kleinen Gemeinde
der »Falschen-Waldemar-Schwärmer« als vielleicht
von symbolischer Bedeutung erscheinen wird.
Wir unsrerseits aber, indem wir den Jakob Rehbock
(trotzdem er in der Fürstengruft zu Dessau ruht) für
das nehmen, was er war, meiden mit Geflissentlich-762
keit den Waldemar-Bogen und bewerkstelligen unsre
Einfahrt durch das stattliche Portal des »Ruppiner
Tores«, das, wenn auch zurückstehend neben dem
berühmten Uenglinger Tor in Stendal, nichtsdesto-
weniger der Teilnahme wert war, die Friedrich Wil-
helm IV. ihm angedeihen ließ, als er in den vierziger
Jahren an Superintendent Kirchner schrieb: »An die-
sem Tore wird kein Stein gerührt, ohne daß ich zuvor
Kenntnis davon erhalte.«
Das Tor liegt hinter uns, und unser Wagen lärmt
jetzt die Hauptstraße hinauf, an deren linker Seite
die beiden Plätze der Stadt und auf ihnen die beiden vorzüglichsten Sehenswürdigkeiten derselben: die
Marienkirche und das Luisen-Denkmal , gelegen sind.
Ehe wir diese jedoch aufsuchen, benutzen wir zuvor
eine kurze Rast in Klagemanns Hôtel, um mit Hülfe
des Wirtes einen guten Trunk und mit Hülfe seiner
Gäste die Geschichte
Weitere Kostenlose Bücher