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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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größten, war die
    Hülfe am nächsten«, und ehe noch die Sonne in Mit-
    tag stand, blitzte es am Waldrande hin von Rittern
    und Reisigen, und ein nach Hunderten zählender
    bewaffneter Zug wandte sich an der Warte vorüber
    der Stadt zu. Der aber, der erschien, war Waldemar.
    Vor ihn jetzt kam der Streit und Hans Lüddecke, Ur-fehde schwörend, erhielt Leben und Freiheit zurück.
    Mathis dagegen verschwand in dem ihm zukommen-
    den Dunkel.
    So die Geschichte von der »Warte« bei Gransee, eine
    bloße Fiktion, die sich jedoch zur Historie bereits zu
    verdichten anfängt und nach »abermals fünfhundert
    Jahren« andern Historien einigermaßen ebenbürtig
    sein wird. Und nicht zu unserem Nachteil. Denn auch

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    die dichterische Tat belebt die Schauplätze der von ihr , der Dichtung, gebornen Ereignisse und reiht sie mehr oder minder in die wirklichen »historischen
    Stätten« ein. Die »Warte« bei Gransee ist in diesem
    Augenblicke schon eine andre, als sie vor fünfzig
    Jahren war, und selbst das trigonometrische Dreige-
    stell, das sich neuerdings auf jener Plattform einge-
    bürgert hat »auf der Hans Lüddecke und Türmer
    Mathis miteinander kämpfen sollten«, hat ihr nichts
    Erhebliches von ihrem romantischen Schimmer zu
    nehmen gewußt.
    Wir aber kehren nunmehr auf unsre Lindower Straße
    zurück, um in raschem Trabe der Stadt zuzufahren,
    an deren Eingang uns freilich ein neuer Aufenthalt erwartet. Zwei Tore nebeneinander! Warum zwei
    Tore? Diese Frage hält uns fest.

    Das Waldemar-Tor
    Warum zwei Tore? F. Knuths Geschichte von »Gran-
    see« berichtet darüber: »Alle Städte, die dem Fal-
    schen Waldemar ihre Tore geöffnet und dadurch sich zu ihm bekannt hatten, wurden, als der bayersche
    Markgraf wieder herrschte, dahin bestraft, daß sie
    die Tore zumauern mußten, durch die der falsche
    Waldemar eingezogen war. Diese zugemauerten Tore
    hießen denn auch im Volksmunde ›Waldemar-Tore‹ .
    Hart neben ihnen waren inzwischen neue, reichge-
    gliederte, mit Türmen und Zinnen geschmückte goti-
    sche Tore gebaut worden, die nun, jahrhundertelang,

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    den Verkehr vermittelten, bis das neuerblühende
    Leben der Städte den verhältnismäßig schmalen Ein-
    gang der gotischen Portale störend zu empfinden
    anfing. Da entsann man sich der zugemauerten Tore,
    nahm den fünfhundertjährigen Bann von ihnen,
    brach die Steine aus dem alten Rundbogen wieder
    heraus und schuf so dem Leben und Verkehr eine
    doppelte Straße.«
    W. Schwartz in seinen »Sagen und alten Geschichten
    der Mark Brandenburg« erzählt es anders. Nach ihm
    würden die sogenannten Waldemar-Tore als »Wen-
    den-Tore« anzusehen sein, durch die man deut-
    scherseits die als unrein betrachtete wendische Be-
    völkerung vertrieben und die Tore dann vermauert
    habe. Hiermit stimmt auch überein, daß noch, bis ins
    vorige Jahrhundert hinein, in allen Dörfern, wo Wen-
    den und Deutsche zusammenwohnten, nur die
    letztren sich der eigentlichen Kirchentüren bedienen
    durften, während die Wenden gezwungen waren,
    durch eine kleine, für sie besonders angelegte Sei-
    tentür in die Kirche einzutreten.1)
    In Gransee wurde 1818 schon das Waldemar-Tor –
    ein Name, den ich beibehalte – wieder geöffnet und
    begann seinem Nachfolger und Nachbar Konkurrenz
    zu machen, eine Tatsache, die der kleinen Gemeinde
    der »Falschen-Waldemar-Schwärmer« als vielleicht
    von symbolischer Bedeutung erscheinen wird.
    Wir unsrerseits aber, indem wir den Jakob Rehbock
    (trotzdem er in der Fürstengruft zu Dessau ruht) für
    das nehmen, was er war, meiden mit Geflissentlich-762
    keit den Waldemar-Bogen und bewerkstelligen unsre
    Einfahrt durch das stattliche Portal des »Ruppiner
    Tores«, das, wenn auch zurückstehend neben dem
    berühmten Uenglinger Tor in Stendal, nichtsdesto-
    weniger der Teilnahme wert war, die Friedrich Wil-
    helm IV. ihm angedeihen ließ, als er in den vierziger
    Jahren an Superintendent Kirchner schrieb: »An die-
    sem Tore wird kein Stein gerührt, ohne daß ich zuvor
    Kenntnis davon erhalte.«

    Das Tor liegt hinter uns, und unser Wagen lärmt
    jetzt die Hauptstraße hinauf, an deren linker Seite
    die beiden Plätze der Stadt und auf ihnen die beiden vorzüglichsten Sehenswürdigkeiten derselben: die
    Marienkirche und das Luisen-Denkmal , gelegen sind.
    Ehe wir diese jedoch aufsuchen, benutzen wir zuvor
    eine kurze Rast in Klagemanns Hôtel, um mit Hülfe
    des Wirtes einen guten Trunk und mit Hülfe seiner
    Gäste die Geschichte

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