Wanderungen durch die Mark Brandenburg
aber
jenseits derselben, wo sich die Schmalung zwischen
dem Gudelack- und dem Wutz-See wieder zu weiten
beginnt, werden wir, nach rechts hin, eines Konglo-
merates von Häusern und Ruinen ansichtig, um wel-
ches sich eine niedrige Steinumwallung: die Einfrie-
digung von Kloster Lindow, zieht. Wir lassen halten, überklettern die gerad an dieser Stelle weder Tür
noch Pforte zeigende Mauer und befinden uns auf
einer von prächtigen alten Bäumen überragten Park-
wiese , die, den verschiedensten Bestimmungen dienend, all ihre Verschiedenheiten wieder in eine höhe-
re Einheit zusammenfaßt.
Die schönsten Teile dieser Parkwiese sind die, wo
begraben wird. Von dem richtigen Gefühl ausgehend,
daß Leben und Tod Geschwister sind, die sich nicht
ängstlich meiden sollen, hat man hier die Spiel- und Begräbnisplätze dicht nebeneinander gelegt, und dieselben Blumen blühen über beide hin. Aber der
Tod, so gemütlich er mit dem Leben zu leben weiß,
hat doch innerhalb seiner eignen Gebiete nicht ganz
auf Scheidungen und Standesunterschiede verzich-
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tet, die nun, so scheint es, Zeugnis ablegen sollen,
daß wir uns hier auf dem Grund und Boden eines
adligen Fräuleinstiftes befinden. Im Leben »leben
und leben lassen«, aber im Tode – Rangordnung! So
begegnet man denn Steinen und Grabkreuzen an
drei verschiedenen Punkten des Parkes, und wäh-
rend die Dienstleute samt den Beamten an einer, die Gäste des Klosters an einer andern Stelle ruhn, ist den Stiftsdamen eine dritte Stelle vorbehalten
geblieben. In zwei Reihen, zu beiden Seiten einer
alten Rüsterallee, liegen sie hier in hoch aufgemau-
erten Gräbern, von denen übrigens keines über den
Anfang des vorigen Jahrhunderts zurückreicht. In
deutlichen Buchstaben sprach nur noch das Grab der
letztverstorbenen Domina zu mir, stattlicher aber
war ein älterer Stein, unter dem (wenn ich das Wap-
pen richtig erkannt) eine von Pannewitz ihren letzten
Schlummer schlief.
Auf dieses Epitaphium, das einen guten Überblick
versprach, stieg ich hinauf und übersah nun, ein
paar Zweige zurückbiegend, die ganze Klosteranla-
ge: nach links hin der von Lindengängen eingefaßte
See, zwischen uns und ihm ein buntes Durcheinan-
der von Blumen- und Gemüsegärten und, mitten
hineingestellt in diese , das villenartige Haus der Domina, dicht grenzend mit einem in Trümmern liegen-
den Langbau, der sehr wahrscheinlich einst das Re-
fektorium des alten Klosters ausmachte. Jetzt ist es
Wirtschaftshof, Eis- und Vorratskeller der drei, vier
Damen, die hier ihre Tage leben und beschließen,
und jeder Zauber wäre dieser Verfallstätte längst abgestreift, wenn nicht die hohen, stehengebliebe-755
nen Giebelwände wären, mit ihren gotischen Nischen
und Fenstern und ihrem Storchennest darauf.
Eine Viertelstunde lang hielt ich Umschau von dem
Pannewitz-Grabstein aus; dann, auf einem Schlän-
gelpfade den See gewinnend, schritt ich langsam
einen Ufer- und Lindengang hinunter, bis ich mich
unerwartet und plötzlich fast inmitten einer völlig
veränderten Szenerie sah. Beete mit eingemusterten
Blumen lagen wie Teppiche vor mir ausgebreitet, aus
dem Mittelrondell stiegen Büsche von Ricinus und
Canna indica auf, Wein und Pfirsich lachten am Spa-
lier, und abwechselnd liefen Lauben von Geißblatt
und Pfeifenkraut an der einen Seite des Gartens hin,
während an der anderen ein Drahtzaun, leicht wie
ein ausgespanntes Fischernetz, die Anlage schloß.
War dies noch Klostergrund? Nein. Aus mittelalterli-
chen Überbleibseln heraus war ich in eine modern-
bürgerliche Welt eingetreten, und ein reicher, in An-
lagen und Gartenkunst erprobter »Propriétaire«
stickte hier mit eigner Hand diese Blumenmuster in
den Rasenteppich und gefiel sich darin, in richtiger
Benutzung des Erworbenen, auch dem , »was wohltut und gefällig ist«, zu dienen.
Ein Reichtum, der zur Pflege des Schönen führt, erfreut immer wieder mein Herz und tat es auch hier .
Aber beinah wohltuender noch berührte mich die
Wahrnehmung, daß das Fehlen einer Grenz- und
Scheidelinie zwischen Klostergrund und Gartenanlage
wenigstens an dieser Stelle kein bloßer Zufall war.
Diese Scheidelinie fehlte, weil der Trennungsstrich
auch in den Herzen nicht vorhanden ist und der Be-756
sitzer des Gartens Frieden und Freundschaft hält mit
den Klosterfrauen von drüben.
Gransee
Steig auf die Warte dort, die nach dem Feld
Hinblickt, und sag uns, was du
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