Wanderungen durch die Mark Brandenburg
von Gransee »frisch vom Fas-
se« zu schöpfen.
Die Geschichte geht weit zurück in der Zeiten Lauf,
aber erst um 1262 finden wir einen Brief, in dem
Markgraf Johann den Granseern das »Recht seiner
alten Stadt Brandenburg« verleiht. Es fehlt nicht ab-
solut an Diplomen und Pergamenten aus dieser und
der folgenden Zeit, das meiste jedoch ist verlorenge-
gangen, und die Geschichte der Stadt – in ihren
Hauptzügen der aller übrigen Grafschaftsstädte nah verwandt – erzählt sich rasch.
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Es ist das alte Lied: erst großes, allgemeines Dunkel,
nur hier und da durch ein Streiflicht erhellt; dann
Kirchen- und Klösterbau; dann Säkularisierung; dann
Schweden und die Pest; dann ein Dutzend Feuers-
brünste mit Hinrichtung dieses oder jenes Brandstif-
ters; dann Beglückung der Stadt durch ein paar Gar-
nison- oder Invalidencompagnien, und in der Regel
damit zusammenfallend: Benutzung alter Kloster-
mauern zu Schul-, Kasernen- und Gefängniszwe-
cken. In dieser Aufzählung ist nicht nur die Geschich-
te der Stadt sondern zugleich auch die Charakteristik
der einzelnen Jahrhunderte gegeben, wobei sich's
trifft daß das siebzehnte immer als das traurigste,
das achtzehnte immer als das prosaischste auftritt.
Die große Zeit Gransees war wohl (wie für so viele
Städte unsrer Mark) das sechzehnte Jahrhundert, die
Joachimische Zeit. Damals gedieh alles, und das
Kleinbürgertum wuchs fast über sich hinaus. Eine
achtzehn Fuß hohe Mauer, mit fünfunddreißig Wacht-
türmen besetzt umzirkte die Stadt, aus deren Mitte
die schon genannte Marienkirche aufstieg und über
Mauer und Wachttürme hinweg weit ins Ruppinsche
und Uckermärkische hineinsah. Es war eine feste
Stadt, vielleicht die festeste der Grafschaft. Gräben
und Wälle blieben bis in den Anfang des vorigen
Jahrhunderts, wo sie applaniert und zu Anlagen um-
geschaffen wurden, so daß damals, wohl der Zahl
der Häuser entsprechend, 321 Gärten die stehen-
gebliebene Stadtmauer umgaben. Ob diese Zahl die-
selbe geblieben ist, vermag ich nicht anzugeben,
aber auch jetzt noch erschließt einem ein Rundgang um Gransee, besonders um seine Nordhälfte, die
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ganze landschaftliche Lieblichkeit einer kleinen mär-
kischen Stadt. Nach der einen Seite hin, in breiter
Fläche, Wasser, Wald und Wiese, nach der andern
aber, im Schatten alten Mauerwerks, eine stattliche
Reihe von Blumenbeeten und, eingeschoben in diese,
jener von weißen und schwarzen Kreuzen überragte
Garten, der beflissen ist, uns mit Fliederduft und Vo-
gelsang über die Bitterkeit des Scheidens hinwegzu-
täuschen.
Aber dieser »Gang um die Stadt« war bestimmt, erst
gegen Abend und bei niedergehender Sonne zu mir
zu sprechen. Noch war heißer Mittag, und wo hätt ich zu dieser Stunde besser Schutz gefunden als in der
dämmerkühlen Kirche der Stadt.
1. Mir persönlich will es, all diesen Auslegungen
gegenüber, doch um vieles wahrscheinlicher
erscheinen, daß die neuen Tore lediglich ge-
baut wurden, um etwas Beßres, Schöneres,
auch der Befestigung Dienenderes an die
Stelle des Alten zu setzen. Ganz in derselben
Weise, wie man die Wölbungen der alten ro-
manischen Kirchen abbrach und die Rundbö-
gen durch den allgemein werdenden Spitzbo-
gen ersetzte, ganz so machte man's mit den
Torbauten. Ihre Modernisierung wurde Sache
fortschrittlicher städtischer Repräsentation
und des Wunsches, »nicht zurückzubleiben«.
(Im übrigen finden sich solche »zugemauer-
ten Tore«, die stets gradlinig auf die Haupt-
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straße stehen, vielfach in unsrer Mark, so bei-
spielsweis in Kyritz, Wittstock und Wuster-
hausen, ferner in Soldin, Friedeberg, Mohrin,
Berlinchen, Königsberg, Landsberg a. W. und
endlich in Bernau, Fürstenwalde und Mitten-
walde.)
Die Marienkirche,
deren Pfeiler bis in den Anfang des dreizehnten Jahr-
hunderts zurückdatieren, ist ein ursprünglich roma-
nischer Bau, mit Gewölben aus der gotischen Epo-
che. Was diese Kirche, die von keiner in der Graf-
schaft übertroffen wird, auch schon äußerlich aus-
zeichnet, ist die reiche Verwendung des vierblättri-
gen Kleeblatts. Allerdings begegnet man diesem Or-
nament innerhalb der Backsteingotik unserer Mark
an den verschiedensten Stellen, aber nirgends in
gleicher Überschwenglichkeit wie hier. Nicht nur
band- und bortenartig tritt es uns an Fries und Stre-
bepfeilern entgegen, sondern die betreffenden Bän-
der und Borten verbreitern sich auch zu
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