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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Brutstätte. Kirchen gab es zwar ein paar; aber
    der Geistliche erschien nur alle sechs oder acht Wo-
    chen, um eine Predigt zu halten, und der Verkehr mit
    den glücklicheren Randdörfern oder gar mit den
    Städten, wohin sie eingepfarrt waren, war durch Ü-
    berschwemmungen und grundlose Wege erschwert.
    Man darf mit nur allzu gutem Rechte behaupten, daß
    die Brücher in allem, was geistlichen Zuspruch und
    geistiges Leben anging, von den Brosamen lebten,
    die von des Herren Tische fielen. Die Toten, um ih-
    nen eine ruhige Stätte zu gönnen (denn die Fluten
    hätten die Gräber aufgewühlt), wurden auf dem
    Wriezener Kirchhof oder auf den Höhe-Dörfern be-
    graben, und die Taufe der Kinder erfolgte vielleicht
    vier- oder sechsmal des Jahres in ganzen Trupps. Es
    wurden dann Boote nach der benachbarten Stadt
    abgefertigt, die dem dortigen Geistlichen die ganze
    Taufsendung zuführten, wobei sich's nicht selten
    ereignete, daß von diesen in großen Körben trans-portierten Kindern das eine oder andere auf der Ü-
    berfahrt starb.
    Die geistige Speise, die geboten wurde, war spärlich
    und die leibliche nicht minder; Korn wurde wenig
    oder gar nicht gebaut, die Kartoffel war noch nicht
    gekannt oder, wo sie gekannt war, als Feind und
    Eindringling verabscheut; ein weniges an Gemüse
    gedieh auf den »Kuhmistwällen«, sonst – Fisch und

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    Krebse und Krebse und Fisch. Seuchen konnten nicht
    ausbleiben; dennoch wird eigens berichtet, daß ein
    kräftiger Menschenschlag, wie jetzt noch, hier hei-
    misch war und daß Leute von neunzig und hundert
    Jahren nicht zu den Seltenheiten zählten.
    Ein hervorstechender Zug der Wenden, zum Beispiel
    auch der Spreewaldwenden, ist ihre Heiterkeit und
    ihre ausgesprochene Vorliebe für Musik und Gesang.
    Ob eine solche Vorliebe auch bei den Wenden des
    Oderbruchs zu finden war? Möglich, aber nicht wahr-
    scheinlich. Eins spricht entschieden dagegen. Volks-
    lieder haben ein langes Leben und überdauern vie-
    les; aber nirgends begegnet man ihnen bei den Brü-
    chern. Diese singen jetzt, was anderen Orts gesun-
    gen wird. Keine Spur wendischer Eigenart; woraus
    sich schließen läßt, daß überhaupt wenig davon vor-
    handen war.2)
    Das einzige, was sich, ähnlich wie im Altenburgi-
    schen, auch hier im Bruche länger als jede andre
    Spur nationalen Lebens erhalten hat, ist die Tracht .
    Über diese noch ein paar Worte.
    Wir begegnen ihr nicht inmitten des Bruchs, wo sich das Wendentum bis 1747 ziemlich unvermischt erhielt, sondern umgekehrt am Rande , wo die Berührung mit der deutschen Kulturwelt schon durch Jahr-
    hunderte hin stattgefunden hatte. Aber dies darf
    nicht überraschen. Diese Berührung blieb in den
    Randdörfern eine spärliche, mäßige, wie sie es im-
    mer gewesen war, während das durch Jahrhunderte
    hin wendisch intakt erhaltene Zentrum, als diese

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    Berührung überhaupt einmal begonnen hatte, durch
    Masseneinwanderung solche Dimensionen annahm,
    daß das Wendentum in kürzester Frist darunter ersti-
    cken mußte. Die Gäste wurden die Wirte und gaben
    nun den Ton an. Anders in den Randdörfern, wenigs-
    tens in einzelnen derselben. An dem Abhange des
    Barnim-Plateaus, in der ehemaligen »Derfflinger-
    schen Herrschaft«, liegen noch einige Dörfer, drin
    sich Überreste wendischer Tracht bis auf diesen Tag
    erhalten haben. In Vollständigkeit existiert sie nur
    noch in Quilitz. dem gegenwärtigen Neu-Hardenberg.
    Diese Kleidung, soweit die Frauen in Betracht kom-
    men, besteht aus einem kurzen roten Friesrock mit
    etwa handbreitem, gelbem Rand; ferner aus einem
    beblümten, dunkelfarbigen, vorn ausgeschnittenen
    Leibchen und aus einem weißen Hemd, dessen Ärmel
    bis zum Mittelarm reichen, während Latz und getoll-
    ter Kragen über Brust und Nacken fallen. Dazu Kopf-
    tuch und Schürze. Die Tracht ist alltags und sonntags
    dieselbe und nur im Stoff verschieden. Alltags: blaue
    geblümte Kattun- oder Leinwandschürze und Kopf-
    tuch von demselben Zeug; sonntags: weiße Schürze
    und schwarzseidenes Kopftuch . Der rote Friesrock ist das Ständige, und die Schürze ist jedesmal um eine
    Handbreit länger als der Rock . Wie Alltag oder Sonntag, so macht natürlich auch arm und reich einen
    Unterschied. Bei den Ärmeren legt sich der Friesrock
    in wenige, bei den Reichen in viele Falten und er-
    reicht seine Höhe, so wenigstens wird erzählt, wenn
    er so viele Falten hat wie Tage im Jahre. Für das
    Leibchen ist Manchester ein sehr bevorzugter

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