Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Lande, noch voll-
auf Gelegenheit gegeben. Denn der Sinn für
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die »schöne Landschaft« ist wie die Land-
schaftsmalerei von sehr modernem Datum.
Namentlich in der Mark. Die eigentliche mär-
kische Bevölkerung hat noch jetzt diesen Sinn
beinah gar nicht, wovon sich jeder überzeu-
gen kann, der an hübsch gelegenen Orten ei-
ner Vergnügungspartie märkischer Stadt- und
Dorfbewohner beiwohnt. Sie sind ganz bei ih-
rem Vergnügen , aber gar nicht bei der »Land-
schaft«, der sie in der Regel den Rücken zu-
kehren. Der Berliner »Sommerwohner« ist
nicht deshalb so bescheiden in seinen Ansprü-
chen, weil ihm die märkische Natur nichts
bietet, sondern weil es ihm schließlich gar
nicht darauf ankommt, ob die Sache so oder
so ist.
3. Der Gesundbrunnen
Hier an der Bergeshalde
Verstummet ganz der Wind –
Die Zweige hängen nieder.
Th. Storm
»Der Freienwalder Gesundbrunnen liegt eine kleine
Viertelmeile von der Stadt gen Süden hin, in einem
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von ziemlich hohen Bergen eingeschlossenen, anmu-
tigen Tal; die Berge sind mit Eichen, Buchen, Fich-
ten, auch niedrigem Baum- und Strauchwerk be-
wachsen und haben viele gute Kräuter.« So schrieb
Thomas Philipp von der Hagen, dem wir die erste
Beschreibung Freienwaldes verdanken, vor etwa
hundert Jahren, und wir wüßten nicht, was wir an
dieser Darstellung zu ändern hätten.
Aber wenn nicht das Brunnental selbst, so hat doch
der Weg hinaus seinen Charakter verändert. Was
damals eine »Allee« war, ist jetzt eine städtische
»Straße« geworden, und hinter den schönen Linden-
bäumen, die nach wie vor den Weg einfassen, erhe-
ben sich, des Schlosses und Schloßgartens zu
geschweigen, allerhand Villen, Hôtels und Gärten,
aus denen hervor im Mai die weißen Blüten und im
September die roten Äpfel lachen. Der ganze Weg
zum Brunnen hinaus der einen oder andern unserer
Tiergartenstraßen nicht unähnlich!
Dieselben Hügelreihen, die den Weg zum Brunnen
bilden, bilden schließlich auch das Brunnental selbst,
das nichts anderes ist als eine etwas erweiterte
Talschlucht, ein Kessel, zu dem sich der Weg verhält
wie eine schmale Straße zu einem breiten Platz, auf
den sie mündet.
Es ist ein Septembernachmittag. An Linden und
Sommerhäusern, zuletzt an der reizend gelegenen
Pappenmühle vorbei, über deren stillen Teich die
Schwäne ziehn, haben wir unsern Gang von der
Stadt aus gemacht und unser Ziel: den Gesundbrun-
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nen, erreicht. Die Saison ist schon vorüber; aber die
Quellen sprudeln weiter, und die Nachmittagssonne
steht ruhig über dem Tal und wärmt mit ihren Strah-
len die schon herbstesfrische Luft. Ein Kellner, der
die traurige Verpflichtung hat, seine Zeit hier abzu-
warten, bis die de facto bereits beendigte Saison
auch de jure geschlossen sein wird, begrüßt uns, wie
der Gefangene den Schmetterling begrüßt, der an
seinem Fenster vorüberfliegt. Wir erschienen ihm wie
Boten aus dem Lande seiner Sehnsucht. Jedenfalls
ließ seine Willfährigkeit nichts zu wünschen übrig,
und gemeinschaftlich anfassend, ward an der son-
nigsten Stelle des Gartens ein Kaffeeplatz ohne
Zwang und Mühe arrangiert. Die Zusammensetzung
geschah aus den üblichen Requisiten: einem weißge-
strichenen Tisch mit einem Riß in der Mitte und ei-
nem Stuhl mit bereits schräg gedrückter Lehne.
Der Kaffee kam, die Sonne labte uns, alles war frisch
und erquicklich; nur eines ging wie ein Schatten über
das heitre Bild: der Kellner stand wie angewurzelt an
unserem Tisch. Ich hätt ihn wegschicken können,
aber auch das erschien mir untunlich. Es war ersicht-
lich, er sehnte sich nach dem süßen Laut menschli-
cher Stimme, einer Stimme, die ihn vergewissern
konnte: »Kroll lebt noch, und das Odeum ist kein
leerer Wahn.« Ich ließ ihn also stehen und führte
eine jener Unterhaltungen, die man im Lauf der Jah-
re, ohne Wissen und Wollen, führen lernt und die,
einen gewissen öden Mittelkurs innehaltend, dem
Angeredeten das Recht gönnen, weiterzusprechen,
aber zugleich durchklingen lassen: er täte besser,
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auf dieses Recht zu verzichten. Dieser Verzicht trat
auch endlich ein, und ich war allein.
Ich hatte einen prächtigen Platz inne, der Zufall war
mir günstig gewesen, und dem sogenannten Kapel-
lenberg, der das Tal schließt, den Rücken zukehrend,
überblickte ich die ganze Anlage des Brunnens: den
Park, die Gartenpartien, die Baulichkeiten. Diese
Baulichkeiten,
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