Wanderungen durch die Mark Brandenburg
noch Säle. Ein Bau für eine Köni-
gin witwe , die sich selber leben will, nicht für eine Königin , die anderen leben muß. Ausschmückung
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und Herrichtung erweisen sich als die üblichen; nur
statt des etwas nüchternen Stils der Außenseite be-
gegnen wir einzelnen Anklängen an die viel verurteil-
te und doch so behagliche Rokokozeit. Chinesische
Zimmer und Paradiesvogelzimmer wechseln unter-
einander ab, dazwischen Rosenstrauchtapeten und
buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerstreut
stehen alte Erinnerungsstücke, oft mehr absonderlich
als schön und mehr bemerkenswert um der Personen
willen, denen sie zugehörten, als um ihrer selbst wil-
len. An solchen eigentümlichen Wertstücken sind die
Schlösser der Hohenzollern reich, und wie in man-
chem andern, so gibt sich auch hierin eine Eigentüm-
lichkeit ihres Hauses zu erkennen. Sie haben nämlich
nicht das Bedürfnis, sich ausschließlich mit hoher,
besternter Kunst zu umgeben, sondern gestatten mit
Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe fast, auch dem Nied-
riggebornen in der Kunst, dem mit schüchterner
Hand geschehenen Versuche , den Zutritt in ihr Haus.
Wer die Zimmer kennt, die Friedrich Wilhelm III. zu
bewohnen pflegte, wird diese Bemerkung am ehes-
ten verstehn. Es spricht sich beides in dieser Er-
scheinung aus – ein Mangel und ein Vorzug . Die Hohenzollern waren nicht immer ästhetisch-feinfühlig,
aber sie waren jederzeit human.
Zu diesen Betrachtungen gibt auch Schloß Freien-
walde genügende Veranlassung. Da sind komplizierte
»Strohnähtische« mit eingeflochtenen Namenszügen,
da sind Stühle mit hochzuschraubenden Lehnen, da
sind endlich Tische, aus deren Platten sich, durch
Druck und Zug, Stehleitern vor dem erstaunten Auge aufrichten. Lauter Dinge, vor denen der eigentliche
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Kunstsinn erschrickt während ein freundlicher Sinn
sie gelten läßt und sich am Streben freut. Aber, gut
oder nicht, es sind nicht diese Schöpfungen, bei denen wir zu verweilen hätten. Wir treten lieber aus
dem Paradiesvogelzimmer auf den Korridor hinaus
und steigen einige Stufen treppab, um nach jenem
besten Erinnerungsstück des Hauses zu suchen, das
vor siebzig Jahren oder mehr der Jubel eines heite-
ren Prinzen und der Schrecken alter Hofdamen war.
Wir meinen natürlich die Drehorgel. Da steht sie ver-
staubt im Keller. Wir legen die Kurbel an, die sich
unter einem Ballen Flachs und Hede findet, und be-
ginnen zu drehen. Aber die Harmonie ist hin. Die
heiteren Töne springen nicht mehr elastisch vom
Lager auf; lahm, gebrochen, verstimmt ziehen sie
langsam durch die Luft und hallen düster und un-
heimlich von der Kellerwand zurück.
Schloß Freienwalde ist unbewohnt jetzt. Von Zeit zu
Zeit hat es freilich noch seine Gäste, aber Laune und
Zufall gefallen sich darin, die sommerliche Villa vor
allem zu einem winterlichen Jagdschloß zu machen.
Im Dezember, bei grauem Himmel, wenn Weg und
Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird es lebendig hier. Aber nur auf Stunden.
Dann, um Mitternacht, mit Peitschenknall und Schel-
lengeläut, jagen Schlitten durch die Straßen der tief
stillen Stadt, den Berg hinauf, den Park hindurch, bis
vor das verschneite Schloß. Fackeln und Windlichter
werfen ihren Schein auf die aussteigenden Gäste –
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hohe, heitere Gestalten, die den Schnee von ihren
Pelzen schütteln. Sie treten auf wie solche, die hier
zu Hause sind. Diener mit Taschen und Jagdgerät,
mit Büchsensäcken von rotem Juchtenleder fliegen
treppauf, alle Fenster werden hell, hinter den herab-
gelassenen Rouleaux bewegen sich einzelne Schat-
ten, dann wieder wird es stiller, und nur von Zimmer
zu Zimmer knarrt noch der Ton, womit der müde Fuß
aus dem Stiefel fährt. Noch ein kurzer Befehl, eine
»gute Nacht«, und alle Lichter löschen aus.
Eh der Tag graut, ist das Schloß wieder leer. Nur
halbverwehte Schlittengeleise und lange Streifen, die
die Spitze der Parforcepeitsche durch den Schnee
zog, zeigen noch den Weg, den die Gäste auf ihrer
Weiterfahrt genommen.
Und das Schloß liegt stiller da wie zuvor.
Alles, was kam und ging, war wie ein Traum.
1. Dieser Berg heißt jetzt der » Schloßgarten-
berg « und ist nicht mit dem »Schloßberg« zu
verwechseln, der, halben Weges zwischen
Freienwalde und Falkenberg gelegen, die Rui-
nen der alten Uchtenhagen-Burg auf seiner
Kuppe trägt.
2. Zu einem solchen Erschließen« war auch in
Freienwalde, wie überall im
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