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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Hügels
    umziehen. Kein besserer Plauderweg denkbar als
    solch ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den
    Raum mißt, hat auch etwas von einem Zeitmesser,
    und die siebenmal auf und ab geschrittene Avenue
    wirkt unwillkürlich wie ein siebenmal gereckter Zei-
    ger; aber der Schlängelweg entzieht sich einer derar-
    tigen Zeitcontrôle, und die Frage nach dem »Zuviel«
    wird rein praktisch durch den ermüdeten oder nicht
    ermüdeten Fuß entschieden. Die Füße aber ermüden
    schwer bei guter Unterhaltung, und solcher erfreuen
    wir uns an der Seite unseres Führers und Genossen.
    Von Zeit zu Zeit, wo eine Lichtung im Park einen
    Blick ins Freie gestattet, stockt das Gespräch, aber
    es ist nur ein lässiges Fallenlassen des Fadens – er
    ruht nur, er ist nicht abgeschnitten. Ungesucht
    nimmt sich das Gespräch an selber Stelle wieder auf,
    und in den Hintergrund der stillen Abendlandschaft
    stellt sich immer klarer das Bild unseres Freundes,
    wie sein eignes Wort es vor uns entrollt.
    Er beginnt mit Schilderungen aus seiner Heimat, sei-
    ner Kindheit. Am Giebichenstein spielt er umher; er
    singt und klettert unter Fels und Trümmern und tut
    unbewußt seinen ersten Trunk aus Romantik und
    Märchenwelt. Er singt »Des Knaben Berglied«, er hat

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    eine klare Kinderstimme; aber was frommt »armer
    Leute Kind« Lied und Gesang, wenn beide nicht zu
    erwerben verstehen? Und so finden wir unsern jun-
    gen Freund in den dunkeln Straßen Halles wieder –
    er trägt den Kurrendemantel und singt ums Brot.
    Sei's drum, es haben es Bessere vor ihm getan. Aber
    Frau Musika führt einen knappen Haushalt, und an-
    dere freie Künste müssen helfen. Zunächst die
    Dichtkunst. Zunftmäßig tritt er bei ihr ein; Friederike Schmidt, eine blinde Dichterin seiner Vaterstadt, diktiert ihm ihre Lieder, und gelehrig, wie er ist, lernt er der Frau Meisterin die paar Hantierungen ab, die ihre
    Kunst ausmachen, und versucht sich selbst alsbald in
    seinen ersten Versen.
    Glückliche Jahre waren es, diese Lehrjahre bei der
    freien Zunft, aber wirkliche Lehrjahre sollten folgen, die Drechslerkunst löste die Reimkunst ab, und an
    die Stelle der blinden »Frau Meisterin« trat ein Meis-
    ter, der scharf nach dem Rechten sah.
    Wer indessen, der gesunden und vor allem poeti-
    schen Geistes ist, trüge nicht verhältnismäßig leicht
    diese Tage des Lernens und der Laune, diese Tage
    voll Zwang und Druck und Enge? Man sieht ein Ende
    ab. In weiter, aber doch immer kleiner und kürzer
    werdender Ferne, jetzt drei Jahre, nun zwei, jetzt
    nur noch eins , steht es wie ein Lichtschein und wächst und nimmt Gestalt an, und endlich erkennbar
    geworden, sehen wir, wie die Gestalt nach außen
    zeigt, jenseit des Gittertores, in ein weites Land der Freiheit hinein. Das sind die Wanderjahre, die den
    Lehrjahren folgen – ein Wechsel, den das Leben je-

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    dem beschert, er sei hoch oder niedrig geboren, sei
    »Bursch« oder Handwerksbursch.
    Diese Zeit der Freiheit kam endlich auch unserm Po-
    eten – er wanderte. Er wanderte mit Lust, und seine
    Lieder selbst haben uns ein paar Klänge davon auf-
    bewahrt. Er zog weit umher, arm, glücklich, lieder-
    froh, bis er plötzlich, wie mancher vor ihm, eine Lee-
    re und eine Sehnsucht in seinem Herzen wach wer-
    den und wachsen fühlte, die ihn nun wieder heim-
    wärts trieb. Er sang:
    Wir sind nicht bloß zum Wandern
    (Wie's immer auch gefällt),
    Wir sind zu manchem andern
    Und Beßrem in der Welt.
    Und mit dieser Betrachtung kehrte er in seine Vater-
    stadt heim.
    Diese nahm ihn wieder auf, und wenn sein Wander-
    leben lyrisch-poetisch gewesen war, so genoß er
    jetzt des zweifelhaften Vorzugs, sich sein Daheimle-
    ben dramatisch gestalten zu sehn. An Effektszenen
    kein Mangel.
    Die Personen, die bei diesem Drama mitwirkten, le-
    ben zu großem Teile noch, und so sind uns an dieser
    Stelle nur Andeutungen gestattet. Verlobungen aus
    Träumerei und romantischem Ehrbegriff, Trauungen
    auf dem Totenbette, rätselhafte Wiedergenesungen,
    Entsagungen aus phantastischer Opferfreudigkeit

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    und Trennungen aus Liebe, dabei Armut in Reichtum
    und Reichtum in Armut, so jagen sich die wunder-
    lichsten Szenen und Gegensätze, bis wir, nach einem
    Leben, das »den Roman auf seinem eigenen Felde
    schlägt«, unsern Freund in die einfachsten Verhält-
    nisse zurückkehren und an der Seite der schlichtes-
    ten, aber besten Frau endlich Ruhe finden sehen.
    Diese Ruhe indessen entbehrte der Sorge nicht.
    Schwere

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