Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Hügels
umziehen. Kein besserer Plauderweg denkbar als
solch ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den
Raum mißt, hat auch etwas von einem Zeitmesser,
und die siebenmal auf und ab geschrittene Avenue
wirkt unwillkürlich wie ein siebenmal gereckter Zei-
ger; aber der Schlängelweg entzieht sich einer derar-
tigen Zeitcontrôle, und die Frage nach dem »Zuviel«
wird rein praktisch durch den ermüdeten oder nicht
ermüdeten Fuß entschieden. Die Füße aber ermüden
schwer bei guter Unterhaltung, und solcher erfreuen
wir uns an der Seite unseres Führers und Genossen.
Von Zeit zu Zeit, wo eine Lichtung im Park einen
Blick ins Freie gestattet, stockt das Gespräch, aber
es ist nur ein lässiges Fallenlassen des Fadens – er
ruht nur, er ist nicht abgeschnitten. Ungesucht
nimmt sich das Gespräch an selber Stelle wieder auf,
und in den Hintergrund der stillen Abendlandschaft
stellt sich immer klarer das Bild unseres Freundes,
wie sein eignes Wort es vor uns entrollt.
Er beginnt mit Schilderungen aus seiner Heimat, sei-
ner Kindheit. Am Giebichenstein spielt er umher; er
singt und klettert unter Fels und Trümmern und tut
unbewußt seinen ersten Trunk aus Romantik und
Märchenwelt. Er singt »Des Knaben Berglied«, er hat
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eine klare Kinderstimme; aber was frommt »armer
Leute Kind« Lied und Gesang, wenn beide nicht zu
erwerben verstehen? Und so finden wir unsern jun-
gen Freund in den dunkeln Straßen Halles wieder –
er trägt den Kurrendemantel und singt ums Brot.
Sei's drum, es haben es Bessere vor ihm getan. Aber
Frau Musika führt einen knappen Haushalt, und an-
dere freie Künste müssen helfen. Zunächst die
Dichtkunst. Zunftmäßig tritt er bei ihr ein; Friederike Schmidt, eine blinde Dichterin seiner Vaterstadt, diktiert ihm ihre Lieder, und gelehrig, wie er ist, lernt er der Frau Meisterin die paar Hantierungen ab, die ihre
Kunst ausmachen, und versucht sich selbst alsbald in
seinen ersten Versen.
Glückliche Jahre waren es, diese Lehrjahre bei der
freien Zunft, aber wirkliche Lehrjahre sollten folgen, die Drechslerkunst löste die Reimkunst ab, und an
die Stelle der blinden »Frau Meisterin« trat ein Meis-
ter, der scharf nach dem Rechten sah.
Wer indessen, der gesunden und vor allem poeti-
schen Geistes ist, trüge nicht verhältnismäßig leicht
diese Tage des Lernens und der Laune, diese Tage
voll Zwang und Druck und Enge? Man sieht ein Ende
ab. In weiter, aber doch immer kleiner und kürzer
werdender Ferne, jetzt drei Jahre, nun zwei, jetzt
nur noch eins , steht es wie ein Lichtschein und wächst und nimmt Gestalt an, und endlich erkennbar
geworden, sehen wir, wie die Gestalt nach außen
zeigt, jenseit des Gittertores, in ein weites Land der Freiheit hinein. Das sind die Wanderjahre, die den
Lehrjahren folgen – ein Wechsel, den das Leben je-
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dem beschert, er sei hoch oder niedrig geboren, sei
»Bursch« oder Handwerksbursch.
Diese Zeit der Freiheit kam endlich auch unserm Po-
eten – er wanderte. Er wanderte mit Lust, und seine
Lieder selbst haben uns ein paar Klänge davon auf-
bewahrt. Er zog weit umher, arm, glücklich, lieder-
froh, bis er plötzlich, wie mancher vor ihm, eine Lee-
re und eine Sehnsucht in seinem Herzen wach wer-
den und wachsen fühlte, die ihn nun wieder heim-
wärts trieb. Er sang:
Wir sind nicht bloß zum Wandern
(Wie's immer auch gefällt),
Wir sind zu manchem andern
Und Beßrem in der Welt.
Und mit dieser Betrachtung kehrte er in seine Vater-
stadt heim.
Diese nahm ihn wieder auf, und wenn sein Wander-
leben lyrisch-poetisch gewesen war, so genoß er
jetzt des zweifelhaften Vorzugs, sich sein Daheimle-
ben dramatisch gestalten zu sehn. An Effektszenen
kein Mangel.
Die Personen, die bei diesem Drama mitwirkten, le-
ben zu großem Teile noch, und so sind uns an dieser
Stelle nur Andeutungen gestattet. Verlobungen aus
Träumerei und romantischem Ehrbegriff, Trauungen
auf dem Totenbette, rätselhafte Wiedergenesungen,
Entsagungen aus phantastischer Opferfreudigkeit
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und Trennungen aus Liebe, dabei Armut in Reichtum
und Reichtum in Armut, so jagen sich die wunder-
lichsten Szenen und Gegensätze, bis wir, nach einem
Leben, das »den Roman auf seinem eigenen Felde
schlägt«, unsern Freund in die einfachsten Verhält-
nisse zurückkehren und an der Seite der schlichtes-
ten, aber besten Frau endlich Ruhe finden sehen.
Diese Ruhe indessen entbehrte der Sorge nicht.
Schwere
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