Wanderungen durch die Mark Brandenburg
der den Stil etwas umänderte und
einen Teil davon, als Fragment eines unbekannten
Verfassers, herausgab. Bis jetzt wissen es nur drei
lebende Menschen, daß ich der Urheber bin.« In die-
sen Worten Thaers wird weder Lessing genannt noch
mit Bestimmtheit angegeben, welches der »Frag-
mente eines Wolfenbüttelschen Unbekannten« Thaer
für sich in Anspruch nimmt; es ist aber nach den
scharfsichtigen und sehr eingehenden Untersuchun-
gen W. Körtes, des Thaerschen Anverwandten und
Biographen, sehr wahrscheinlich, daß die kleine, bis
dahin Lessing zugeschriebene Schrift Ȇber die Er-
ziehung des Menschengeschlechts« eine Jugendar-
beit Albrecht Thaers ist, die, von Leisewitz an Lessing 1009
übergeben, von diesem teils überarbeitet, teils fort-
gesetzt wurde.
Fast gleichzeitig mit diesem Aufsatze schrieb Thaer
seine Doktordissertation. Sie erschien 1774 zu Göt-
tingen unter dem Titel: »De actione systematis ner-
vosi in febribus«. Bald darauf kehrte er in seine Va-
terstadt Celle zurück, um sich daselbst als prakti-
scher Arzt niederzulassen.
Hier hatte er zunächst durch eine harte Schule zu
gehen. Weder gefiel die Stadt ihm noch er der Stadt.
Ihm erschien alles klein, beschränkt, krähwinklig; er erschien allen eitel und eingebildet. Seine Jugend
und das noch Unentwickelte seiner Erscheinung lie-
ßen ihn, bei den Ansprüchen, die er erhob, fast in
komischem Lichte erscheinen, und an die Stelle der
Auszeichnungen, die ihm in Göttingen so reich zuteil
geworden waren, traten nun Kränkungen. Der Pro-
phet galt nichts in der Heimat.
Jahre vergingen in Unmut und Unbefriedigtheit, aber
seine bedeutende ärztliche Begabung drang doch
endlich siegreich durch, und vor Ablauf von fünf oder
sechs Jahren sah er sich, als der bedeutendste Arzt
in Celle, hochgeehrt und von allen gesucht. Sein al-
ter Vater, der noch weiter praktizierte, fand einst
Gelegenheit, sich von dem wachsenden Ruhme des
Sohnes zu überzeugen. Jener nämlich begegnete, als
er eben seine Krankenbesuche beginnen wollte, ei-
nem Bauer auf der Treppe, und folgendes Zwiege-
spräch griff Platz:
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»Zu wem will Er?«
»Is woll de Doktor Thaer to Huus? Ick bin krank un
möcht em spräken.«
»Ich bin der Doktor Thaer.«
»Ja, he is de olle; ick will abersch den jungschen
spräken, de is klöger .«
Vater Thaer lachte und gönnte dem Sohn seinen Tri-
umph.
Um diese Zeit etwa hatte Thaer auch in Gemein-
schaft mit Leisewitz seine erste Reise nach Berlin
gemacht und Spalding, Mendelssohn, Engel, Nicolai,
Madame Bamberger (»eine Frau, die über die abs-
traktesten Materien der Philosophie rosenfarbenes
Licht und Grazie zu verbreiten weiß«) kennengelernt.
Es war von einer Übersiedelung nach Berlin die Rede,
aber es zerschlug sich wieder. Bald nach seiner
Rückkehr nach Celle lernte er Philippine von Willich,
eine Tochter des Vizepräsidenten am Oberappellati-
onsgericht zu Celle, Georg Wilhelm von Willich, ken-
nen, und nachdem er das Glück gehabt hatte, sie
von einer schweren Krankheit wiederherzustellen,
erfolgte 1785 die Verlobung und im folgenden Jahre
die Vermählung des jungen Paares. Thaer war da-
mals Stadtphysikus und Hofmedikus und genoß eines
großen ärztlichen Ansehens.
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Aber sein ärztliches Wirken genügte ihm nicht. Er
hatte in seiner Dissertation die Heilkunst als das
Herrlichste, Angenehmste, ja, innerhalb aller
menschlichen Bestrebungen Nützlichste gepriesen; je
mehr er jedoch fortschritt, desto zweifelhafter er-
schien ihm der Anspruch auf das Lob, das er ge-
spendet, und desto mehr beschlich ihn die Vorstel-
lung, daß eine andere, segensreichere Kunst dasein
müsse, herrlicher, nützlicher, heilender als die Heilkunst. Nach dieser Kunst begann sein Herz zu su-
chen. Er fand sie. Aber erst allmählich und von Stufe
zu Stufe.
Als diese schönste, segensreichste Heilkunst erschien
ihm der Ackerbau. Ihrem Dienste beschloß er sich zu
widmen. Von kleinen Anfängen ging er aus.
Er hatte sich in Celle ein geräumiges Haus mit einem
sehr großen Hofraum gekauft, welchen er zu einem
kleinen Garten benutzte. Er wandte sich alsbald mit Vorliebe der Blumenzucht zu und bezeigte ein besonderes Geschick und eine glückliche Hand im Vari-
ieren von Nelken und Aurikeln. Es sprach sich hierin
schon dieselbe Neigung für das »Prinzip der Kreu-
zung« aus, das er später, innerhalb der Tierwelt, so
glänzend durchführte.
Der kleine Raum hinterm
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