Wanderungen durch die Mark Brandenburg
ob Thaer jemals aus
seinem engsten Kreise herausgetreten und epoche-
machend für die Landwirtschaft geworden wäre,
wenn sich nicht zu seiner praktischen Tätigkeit eine
emsige Beschäftigung mit den Büchern und, als letz-
te Frucht praktischer Erfahrung und wissenschaftli-
chen Studiums, ein literarisches Auftreten geselle hätte.
Die deutsche landwirtschaftliche Literatur, die er in
all ihren Erscheinungen kannte, hatte ihn im einzel-
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nen angeregt und belehrt, im ganzen aber unbefriedigt gelassen. Dasselbe galt von den englischen
landwirtschaftlichen Schriften, soweit er dieselben
aus Übersetzungen kennengelernt hatte. Er schloß sich dem Spott derer an, die damals von einer »Anglomanie« zu sprechen begannen, und war – etwa
gegen Anfang der Achtziger Jahre – der festen Über-
zeugung, daß auch aus England nichts zu holen sei
und daß die deutsche Landwirtschaft sich selber hel-
fen müsse.
Genau um diese Zeit war es, als ein Ohngefähr ihm
einige landwirtschaftliche Schriften im englischen
Original zuführte. Wie war er freudig überrascht, darin die genauesten Beobachtungen, die sorgfältigsten Versuche, die lichtvollsten Verhandlungen und
Forschungen zu finden! Das war ja genau, was ihm
als Ziel einer rationellen Landwirtschaft vorge-
schwebt hatte. Alles, wonach sein Streben ging – die
Engländer hatten es bereits . Seitdem studierte Thaer die englische Landwirtschaft mit solcher Aufmerksamkeit, daß die Engländer selbst ihm zugestanden:
er kenne ihr Land, wie wenn er es jahrelang durch-
reist habe.
Die Frucht dieser ernsten und anhaltenden Studien
war sein berühmtes Werk, dessen erster Teil 1798
unter dem Titel erschien: » Einleitung zur Kenntnis
der englischen Landwirtschaft und ihrer neueren praktischen und theoretischen Fortschritte, in Rücksicht auf Vervollkommnung deutscher Landwirtschaft
für denkende Landwirte und Kameralisten«.1) Der
zweite Band folgte 1800 und 1801, der dritte 1019
Band 1804. In derselben Zeit, von 1799 bis 1804,
erschienen die » Annalen der niedersächsischen
Landwirtschaft «. Sechs Jahrgänge.
Das Aufsehen, das diese Bücher und Schriften mach-
ten, war ein ganz außerordentliches. Man begreift
diesen Erfolg nur, wenn man im Auge behält, daß
sich ganz Deutschland eben damals nach einem bes-
seren Ackerbausystem sehnte. »Wie ein leitendes
Gestirn erschienen diese Werke am Horizont, freudig
begrüßt von der landwirtschaftlichen Welt.« Nicht
nur in Schriften, sondern auch in den Salons der Re-
sidenzen und in den Wein- und Bierstuben der
Marktstädte wurde mit Enthusiasmus dafür, mit Wut
dagegen gestritten, oft von beiden Seiten gleich un-
verständig. Seine eigenen Erfolge, die von Jahr zu
Jahr wuchsen, unterstützten sein Ansehn, so daß
ihm ein großer hannöverscher Grundbesitzer schrieb:
»Wenn ich diesen Abend einen Brief von Ihnen erhal-
te, daß ich meine Gebäude anstecken soll, so stehen
sie vor Nacht schon in Flammen.« Alles verlangte
seinen Rat, erbat seine oberste Leitung, so daß dem-
selben Manne (dazu noch immer »Leibmedikus«),
dessen eigenes Gutsareal sich auf kaum 130 Morgen
belief, 100 000 Morgen des verschiedensten Bodens
derart zur Verfügung standen, daß er, in Ansehung
der Bewirtschaftung , damit schalten und walten
konnte wie mit seinem Eigentum. Sein Buch aber
gewährte ihm vor allem die Befriedigung: »das
Nachdenken besserer Köpfe über Landwirtschaft ge-
weckt und zu energischerer Tätigkeit angespornt zu
haben«.
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Im Jahre 1802 traten auch die Anfänge seiner
» landwirtschaftlichen Akademie « ins Leben. Diese Akademie erwuchs organisch zwangslos; sie machte
sich von selbst und ging mehr aus einem glücklichen
Ohngefähr als aus einem festen Entschluß hervor,
wiewohl Thaer in seinen Schriften bereits auf das
Wünschenswerte eines landwirtschaftlichen Lehrinsti-
tuts hingewiesen und seine Ideen darüber geäußert
hatte. Im genannten Jahre kamen mehrere junge
Männer, darunter der später durch sein Buch »Der
isolierte Staat« so berühmt gewordene Herr von
Thünen, nach Celle, um an Ort und Stelle die Metho-
de und die Erfolge der Thaerschen Bestellungsart
kennenzulernen. Sie blieben den ganzen Sommer
über. Um diese jungen Leute nicht unbeschäftigt zu
lassen, entschloß sich Thaer, ihnen Vorlesungen über
Landwirtschaft zu halten und einigen Unterricht in
der Naturkunde, Chemie und Botanik hinzuzufügen.
Der Fleiß und Eifer, womit
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