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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Fleisches und
    Blutes. Um diese Zeit hat der Prediger ihn gebeten,
    sich ein wenig aufs Bette zu legen, um für sein Ge-
    müt neue Kräfte zu erlangen, welches er auch getan
    und von drei bis fünf Uhr geschlafen, wo ihn das Ab-
    lösen des Postens aufgewecket. Darauf er kommuni-
    zieret. Wie das vorbei, ging ich wieder zu ihm. Da
    sagte er mir, sein Zeug, so er bei sich hätte, sollte
    mein Kerl haben, seine Bibel schenkte er dem Korpo-
    ral, welcher sehr fleißig mit ihm gesungen und gebe-
    tet, insonderheit das oben benannte Lied, sooft er
    ohne den Prediger allein gewesen.
    Wie kurz vor sieben das Kommando der Gensdarmes
    da war, fragte er mich: ›ob es Zeit wäre‹. Wie ich
    solches mit Ja beantwortet, nahm er Abschied von
    mir, ging hinaus, und das Kommando nahm ihn in

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    die Mitte; der eine Prediger ging zur Rechten, der
    andre zur Linken und beteten und sprachen ihm im-
    mer vor. Er ging ganz frei und munter, den Hut unter
    dem Arm, nicht gezwungen noch affektiert, sondern
    ganz naturell weg.
    Er war ein paar hundert Schritte längs dem Wall ge-
    führet und waren die Zugänge des Walles militärisch
    besetzt, so daß wenig Menschen oben waren. Im
    Kreise ward ihm nochmals die Sentenz vorgelesen,
    ich kann aber hoch versichern, daß ich vor Betrübnis
    nichts gehöret habe, und wußt auch nicht drei Worte
    zusammenzubringen. Bei Vorlesung der Sentenz
    stund er ganz frei; wie solches vorbei, fragte er nach
    den Offiziers von den Gensdarmes, ging ihnen ent-
    gegen und nahm Abschied. Hernach ward er einge-
    segnet. Darauf gab er die Perruque an meinen Kerl,
    der ihm eine Mütze darreichte, ließ sich den Rock
    ausziehen und die Halsbinde aufmachen, riß sich
    selbst das Hemd herunter, ganz frei und munter, als
    wenn er sich sonsten zu einer sérieusen Affaire prä-
    parieren sollen, ging hin, kniete auf den Sand nieder,
    rückte sich die Mütze in die Augen und fing laut
    selbst an zu beten: ›Herr Jesu! dir leb ich‹ etc. Weil
    er aber meinem Kerl gesagt, er sollt ihm die Augen
    verbinden, sich aber hernach resolvieret, die Mütze
    in die Augen zu ziehen, so wollte der Kerl, der
    schrecklich konsternieret, ihm immer noch die Augen
    verbinden, bis von Katt ihm mit der Hand winkte und
    den Kopf schüttelte.
    Darauf fing er nochmalen an zu beten: ›Herr Jesu!‹,
    welches noch nicht aus war, so flog der Kopf weg,

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    welchen mein Kerl aufnahm und wieder an seinen
    Ort setzte.
    Seine présence d'esprit bis auf die letzte Minute kann
    nicht genug admirieren. Seine Standhaftigkeit und
    Unerschrockenheit werde mein Tage nicht vergessen,
    und durch seine Zubereitung zum Tode habe vieles
    gelernet, so noch weniger zu vergessen wünsche.«
    Außer dieser Relation des Majors von Schack liegt
    auch ein Bericht des Garnisonpredigers Besser vor,
    der, wie vorerwähnt, in Assistenz des Feldpredigers
    Müller, den von Katt auf seinem letzten Gange be-
    gleitete. Auf die Angaben dieser beiden »Augenzeu-
    gen« (von Schack und Besser) werden wir auch in
    der Folge bei Lösung schwebender Fragen in allen
    Hauptpunkten angewiesen sein. Alles andere steht
    erst in zweiter Reihe. Hier zunächst der Schluß des
    Besserschen Berichts im Wortlaut.
    »... So trat er seinen letzten Gang zum Vater an mit
    solcher freimütigen Herzhaftigkeit, die jeder bewun-
    dern mußte. Seine Augen waren meistens zu Gott
    gerichtet und wir erhielten sein Herz unterwegens
    immer himmelwärts durch Vorhaltung der Exempel
    solcher, die im Herrn verschieden, als des Sohnes
    Gottes selbst und des Sankt Stephanus wie auch des
    Schächers am Kreuz, bis wir uns unter solchen Re-
    den dem hiesigen Schlosse näherten. An andern, die
    solchen Gang gehen, habe ich sonst wohl Alteration
    und Betrübnis ihrer Sinne gemerket, wenn sie dem
    entsetzlichen Gerichtsplatz nahe kamen, daß ihnen
    auch öfters der freudige Mut entfallen ist. Ich hatte

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    daher auch meine Obacht, ob der Wohlselige auch
    etwa eine verborgene Hoffnung in seinem Herzen
    hege wegen Linderung seines auszustehenden Ur-
    teils, wenn solche aber fehlschlagen möchte, daß ja
    nicht Kleinmütigkeit und schüchterne Blödigkeit ent-
    ständen. Allein Gott sei gedanket, der ihn mit seinem
    Freudengeist in seiner letzten Stunde stärkte und unsträflich behielt. Er erblickte endlich, nach langem sehnlichen Umhersehen, seinen geliebtesten Jonathan, Ihro Königliche Hoheit den Kronprinzen, am
    Fenster des Schlosses , von selbigem er mit höflichen und verbindlichen Worten in

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