Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Fleisches und
Blutes. Um diese Zeit hat der Prediger ihn gebeten,
sich ein wenig aufs Bette zu legen, um für sein Ge-
müt neue Kräfte zu erlangen, welches er auch getan
und von drei bis fünf Uhr geschlafen, wo ihn das Ab-
lösen des Postens aufgewecket. Darauf er kommuni-
zieret. Wie das vorbei, ging ich wieder zu ihm. Da
sagte er mir, sein Zeug, so er bei sich hätte, sollte
mein Kerl haben, seine Bibel schenkte er dem Korpo-
ral, welcher sehr fleißig mit ihm gesungen und gebe-
tet, insonderheit das oben benannte Lied, sooft er
ohne den Prediger allein gewesen.
Wie kurz vor sieben das Kommando der Gensdarmes
da war, fragte er mich: ›ob es Zeit wäre‹. Wie ich
solches mit Ja beantwortet, nahm er Abschied von
mir, ging hinaus, und das Kommando nahm ihn in
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die Mitte; der eine Prediger ging zur Rechten, der
andre zur Linken und beteten und sprachen ihm im-
mer vor. Er ging ganz frei und munter, den Hut unter
dem Arm, nicht gezwungen noch affektiert, sondern
ganz naturell weg.
Er war ein paar hundert Schritte längs dem Wall ge-
führet und waren die Zugänge des Walles militärisch
besetzt, so daß wenig Menschen oben waren. Im
Kreise ward ihm nochmals die Sentenz vorgelesen,
ich kann aber hoch versichern, daß ich vor Betrübnis
nichts gehöret habe, und wußt auch nicht drei Worte
zusammenzubringen. Bei Vorlesung der Sentenz
stund er ganz frei; wie solches vorbei, fragte er nach
den Offiziers von den Gensdarmes, ging ihnen ent-
gegen und nahm Abschied. Hernach ward er einge-
segnet. Darauf gab er die Perruque an meinen Kerl,
der ihm eine Mütze darreichte, ließ sich den Rock
ausziehen und die Halsbinde aufmachen, riß sich
selbst das Hemd herunter, ganz frei und munter, als
wenn er sich sonsten zu einer sérieusen Affaire prä-
parieren sollen, ging hin, kniete auf den Sand nieder,
rückte sich die Mütze in die Augen und fing laut
selbst an zu beten: ›Herr Jesu! dir leb ich‹ etc. Weil
er aber meinem Kerl gesagt, er sollt ihm die Augen
verbinden, sich aber hernach resolvieret, die Mütze
in die Augen zu ziehen, so wollte der Kerl, der
schrecklich konsternieret, ihm immer noch die Augen
verbinden, bis von Katt ihm mit der Hand winkte und
den Kopf schüttelte.
Darauf fing er nochmalen an zu beten: ›Herr Jesu!‹,
welches noch nicht aus war, so flog der Kopf weg,
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welchen mein Kerl aufnahm und wieder an seinen
Ort setzte.
Seine présence d'esprit bis auf die letzte Minute kann
nicht genug admirieren. Seine Standhaftigkeit und
Unerschrockenheit werde mein Tage nicht vergessen,
und durch seine Zubereitung zum Tode habe vieles
gelernet, so noch weniger zu vergessen wünsche.«
Außer dieser Relation des Majors von Schack liegt
auch ein Bericht des Garnisonpredigers Besser vor,
der, wie vorerwähnt, in Assistenz des Feldpredigers
Müller, den von Katt auf seinem letzten Gange be-
gleitete. Auf die Angaben dieser beiden »Augenzeu-
gen« (von Schack und Besser) werden wir auch in
der Folge bei Lösung schwebender Fragen in allen
Hauptpunkten angewiesen sein. Alles andere steht
erst in zweiter Reihe. Hier zunächst der Schluß des
Besserschen Berichts im Wortlaut.
»... So trat er seinen letzten Gang zum Vater an mit
solcher freimütigen Herzhaftigkeit, die jeder bewun-
dern mußte. Seine Augen waren meistens zu Gott
gerichtet und wir erhielten sein Herz unterwegens
immer himmelwärts durch Vorhaltung der Exempel
solcher, die im Herrn verschieden, als des Sohnes
Gottes selbst und des Sankt Stephanus wie auch des
Schächers am Kreuz, bis wir uns unter solchen Re-
den dem hiesigen Schlosse näherten. An andern, die
solchen Gang gehen, habe ich sonst wohl Alteration
und Betrübnis ihrer Sinne gemerket, wenn sie dem
entsetzlichen Gerichtsplatz nahe kamen, daß ihnen
auch öfters der freudige Mut entfallen ist. Ich hatte
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daher auch meine Obacht, ob der Wohlselige auch
etwa eine verborgene Hoffnung in seinem Herzen
hege wegen Linderung seines auszustehenden Ur-
teils, wenn solche aber fehlschlagen möchte, daß ja
nicht Kleinmütigkeit und schüchterne Blödigkeit ent-
ständen. Allein Gott sei gedanket, der ihn mit seinem
Freudengeist in seiner letzten Stunde stärkte und unsträflich behielt. Er erblickte endlich, nach langem sehnlichen Umhersehen, seinen geliebtesten Jonathan, Ihro Königliche Hoheit den Kronprinzen, am
Fenster des Schlosses , von selbigem er mit höflichen und verbindlichen Worten in
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