Wanderungen durch die Mark Brandenburg
ei-
nen Haufen, und wie traurig endiget sich nicht die
Szene meines Lebens, und wie gar unterschieden ist
mein jetziger Stand von dem , womit meine Gedan-
ken schwanger gegangen; ich muß, anstatt den Weg
zu Ehren und Ansehen, den Weg der Schmach und
eines schändlichen Todes wandeln. Aber wie unbe-
greiflich, o Herr, sind deine Wege und unerforschlich
deine Gerichte. Wohl recht heißet es: ›Gottes Wege
sind nicht der Menschen Wege, und der Menschen
Wege sind nicht Gottes Wege.‹ Würd ich nicht etwan
in der Sicherheit fortgegangen, bei allem Glück und
Wohlleben Gott vergessen und ihn hintenangesetzt
haben? Würd ich nicht bei den guten Tagen den Weg
des Fleisches, der Sünden und der Wollust dem We-
ge zu Gott vorgezogen haben? Ja gewiß hätte mich
solches viel mehr von Gott ab- als zu ihm geführt.
Die verdammte Ambition, die einem von der Kindheit
auf, ohne den rechten Begriff davon zu geben, ein-
geflößet wird, würde immer weitergegangen sein und
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zuletzt dem eitlen Verstande zugeschrieben haben,
was doch einzig und allein von Gott kommt. Solchem
hat der gütige und gerechte Gott wollen zuvorkom-
men und – da ich seiner öftern und vielfältigen Re-
gung nicht Gehör gegeben – auf solche Art mich fassen müssen, daß ich mich nicht weiter ins Verderben
stürzte und gar die ewige Verdammnis mir zuzöge.
Darum sei er auch dafür gelobet! Fassen Sie sich
demnach, mein Vater, und glauben Sie sicherlich,
daß Gott mit mir im Spiel, ohne dessen Willen nichts
geschehen, auch nicht einmal ein Sperling auf die
Erde fallen kann! Er ist es ja, der alles regieret und
leitet durch sein heiliges Wort; darum kommt auch
dieses mein Verhältnis von ihm her. Ist gleich die Art
des Todes bitter und herbe, so ist die Hoffnung und
die Gewißheit der künftigen Seligkeit desto süßer
und angenehmer! Ist es gleich mit Schimpf und
Schmach verknüpfet, so ist es doch nicht im Ver-
gleich der künftigen Herrlichkeit! Trösten Sie sich,
mein Vater! Hat Ihnen doch Gott mehr Söhne gege-
ben, denen er vielleicht mehr Glück in dieser Welt
geben wird, und Ihnen, mein Vater, die Freude in
denenselben erleben lassen, die Sie vergebens an
mir gehoffet. Welches ich Ihnen von Grund meiner
Seele wünsche. Unterdessen danke mit kindlichem
Respekt für alle mir erwiesene Vatertreue, von mei-
ner Kindheit an bis zur jetzigen Stunde. Gott der
Allerhöchste vergelte Ihnen tausendfach die mir er-
zeigte Liebe und ersetze Ihnen durch meine Brüder,
was bei mir rückständig geblieben. Er erhalte und
bewahre Sie bis in Ihr hohes und graues Alter und
speise Sie mit Wohlergehen und tränke Sie mit der
Gnade seines Geistes.
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Ihr bis in den Tod getreuer Sohn Hans Hermann von
Katt.
Nachschrift . Was soll ich aber ihnen, liebwerteste Mama, die ich so sehr, als hätte uns das Band der
Natur verbunden« (sie war seine Stiefmutter), »ge-
liebet, und Euch, liebwerteste Geschwister, wie soll
ich mein Andenken bei Euch stiften? Mein Zustand
läßt nicht zu, alles, was ich auf dem Herzen habe,
Euch vorzustellen; ich stehe vor der Pforte des To-
des, muß also bedacht sein, mit einer gereinigten
und geheiligten Seele einzugehen, kann also keine
Zeit versäumen.
H. H. v. K.«
Als Katte mit diesem flüchtig und auf bloße Zettel
niedergeschriebenen Briefe geendigt hatte, wollte er
an eine Abschrift desselben gehen, aber der Prediger
riet ihm ab: »seine Zeit wäre zu edel, und er möcht
es nur lassen; sein Herr Vater sähe ja doch seine
Meinung«. So begab er sich und bat den von Schack,
den Brief späterhin rein abschreiben zu lassen. Da-
nach aß er ein weniges, trank ein Glas korsikani-
schen Wein und nahm die geistlichen Unterredungen
wieder auf, bei welcher Gelegenheit er ebenso große
Fassung und Ergebung wie Kenntnis und Geistes-
schärfe zeigte. »Er gehe mit Freuden in den Tod«, so
sagte er, »und wenn er die Wahl zu leben oder ster-
ben hätte, so woll er das letztere wählen, denn es
möchte ihm nicht immer die Zeit werden, sich so gut
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vorzubereiten wie jetzt.« Unter solchen Gesprächen
verging der Abend. Gegen zehn Uhr bat ihn von
Schack, sich niederzulegen, was er anfänglich nicht
mochte. Zuletzt aber tat er es und genoß eines fes-
ten Schlafes.
Am anderen Morgen ging es weiter. Er war mitteil-
sam wie den Tag zuvor und sprach viel darüber, daß
man ihn für einen Atheisten gehalten. Das sei er nie
gewesen, ja er dürfe vielmehr
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