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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

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Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Blutkarneol ist, ändert nichts.

    1338
    Entscheidend für die Beurteilung des Katte-Falles
    erscheint mir in erster Reihe die Frage: »Wie hat sich
    die damalige Zeit dazu gestellt?«
    Lesen wir die zeitgenössischen Berichte, so kommt
    uns freilich der Eindruck, daß ein Zittern durch die
    halbe Welt gegangen sei. Sind wir aber aus dem
    »Sensationellen« der Erzählung erst heraus, begin-
    nen wir zu sichten und zu sondern, so werden wir
    sehr bald gewahr, daß die tiefgehende, ganz unzwei-
    felhaft vorhandene Bewegung der Gemüter nicht
    dem Katte-Fall, sondern dem begleitenden Kronprin-
    zen -Falle gilt und daß man in solch ungeheurer Aufregung war nicht um des Geschehenen, sondern um
    des vielleicht noch zu Geschehenden willen . Wird das Schwert, das den Lieutenant von Katte traf, auch
    den Kronprinzen treffen? Das war es, was alle
    Schichten der Gesellschaft in Schrecken setzte. Von
    dem Augenblick an, wo diese Furcht aus den Gemü-
    tern gewichen war, war der Schrecken überhaupt
    dahin, und nur dem Umstande, daß die Schicksale
    Kattes und des Kronprinzen viele Wochen lang Hand
    in Hand gingen und fast identisch erschienen, nur
    diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß die Vor-
    stellung: die Hinrichtung sei als etwas Außerordentli-
    ches oder gar Unerhörtes angesehen worden, jemals
    hat Platz greifen können.
    Es liegt vielmehr umgekehrt, und weder in den Pöll-
    nitzschen Memoiren noch in denen der Markgräfin
    findet sich, bei schärferer Prüfung, auch nur ein ein-
    ziges dahin lautendes Wort. Es findet sich nicht und
    kann sich nicht finden: denn Hof, Adel, Armee1) fan-1339
    den eben alles, was geschah, zwar streng, sehr
    streng vielleicht, aber schließlich doch nur in der
    Ordnung. Jedenfalls statthaft, zulässig. Ja, die Fami-
    lie selbst, so tief erschüttert sie war (vergleiche die zwei vorstehenden Briefe), so bestimmt sie Begnadigung erwartet haben mochte, scheint den auf Tod
    lautenden Machtspruch des Königs in seinem Rechte
    keinen Augenblick angezweifelt zu haben.

    Es ist nötig, so sagte ich, den Fall aus der damaligen Zeit heraus zu beurteilen, aber er besteht auch vor
    dem Urteil der unserigen, vorausgesetzt, daß unsere
    Zeit sich Zeit nimmt, auf die Spezialien des Falles
    einzugehen. Denn die Wandlung der Gesamtan-
    schauungsweise, die die Weit seit 150 Jahren erfah-
    ren hat, ist doch nicht so groß und stark, als manche
    glauben möchten, und wenn nicht alle Zeichen trü-
    gen, so stehen wir eben jetzt wieder auf dem Punkt,
    uns einer zurückliegenden und schon überwunden
    geglaubten Strenge mehr zu nähern als immer weiter von ihr zu entfernen. Und ich setze hinzu: »Gott
    sei Dank«, ohne damit die Segnungen, die wir einer
    anderthalbhundertjährigen freiheitlichen Entwicke-
    lung verdanken, anzweifeln oder verkennen zu wol-
    len.
    Und so denn noch einmal: auch von unserem Standpunkt aus angesehen, war Katte nicht das Opfer ei-
    ner Willkür oder Laune, sondern einer schweren
    selbsteigenen Schuld, indem er unter chevaleresken
    und in gewissem Sinne selbst unter loyalen Allüren

    1340
    (denn er diente seinem künftigen Herrn) in naiv-frivoler Weise durch alle Stadien des Hoch- und Lan-
    desverrates ging. Er war, um seines Kriegs- und
    Landesherrn eigene Worte zu zitieren, »dazu da,
    seinem Könige getreu und hold zu sein«, doppelt in
    seiner Eigenschaft als Offizier der Garde -
    Gensdarmes, die des Vorzugs genossen, »immadia-
    tement an Seine Majestät Allerhöchste Person atta-
    chieret zu sein« – und was finden wir tatsächlich?
    Der Kronprinz steckt in Schulden; Katte tut das Sei-
    ne, diese Schulden zu mehren.
    Der Kronprinz steckt in Debauchen; Katte geht ihm
    dabei mit Rat und Tat zur Hand.
    Der Kronprinz steckt im Unglauben; Katte bestärkt
    ihn darin.
    Der Kronprinz steckt in Komplotten mit seiner Mutter
    und seiner Schwester, mit fremden Höfen und Ge-
    sandten2), und Katte macht den Zwischenträger und
    zuletzt gar den Liebhaber.
    Der Kronprinz will desertieren; Katte nimmt es in die
    Hand und hält ihm einen Vortrag »über die beste
    Weise des Gelingens«. Endlich rüstet er sich selber
    zur Desertion.
    Das sind so einige der »species facti«; nur einige,
    aber gerade genug, um seinen König und Herrn mit
    allem Fug und Recht aussprechen zu lassen: »Und

    1341
    da denn dieser Katte mit der künftigen Sonne tra-
    mieret, auch mit fremden Ministern und Gesandten
    allemal durcheinandergestecket, er aber nicht davor
    gesetzet worden, mit dem Kronprinzen zu

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