Wanderungen durch die Mark Brandenburg
das Jagdvergnügen einfach als
eine Barbarei bezeichnete. Die Kurfürsten jagten
damals in den schönen Forsten um Berlin herum, in
den weiten Waldrevieren von Potsdam und Spandau,
von Köpenick und Fürstenwalde, und besaßen in der
am Werbellin-See gelegenen »Grimnitz« einen der
schönsten Jagdgründe des Landes. Aber, voll wach-
sender Passion, mit jeder Grenze unzufrieden, ging ihr beständiges Streben dahin, ihre Territorien aus-1447
zudehnen und immer neuen Wald in den großen
Jagdgrund hineinzuziehen.
Eine seiner Jagden führte den Kurfürsten 1590 in
den »Blumenthal«, und die Schönheit dieses Waldes
verfehlte nicht ihres Eindrucks auf ihn. Der fruchtba-
re Boden, der allem, was hier wuchs, eine besondere
Üppigkeit lieh, die hohen Eichen, das frische Nieder-
holz, das Terrain selbst, in buntem Wechsel von Tal
und Hügel und klaren Seen in Tiefen und Schluchten
– all das erfreute das Jägerherz Georgs, und eh eine
Woche um war, wandte er sich an die Barfuse, die
damals auf Prädikow saßen, und bat um die Erlaub-
nis, in ihrem Walde jagen zu dürfen. Die Barfuse,
vier Brüder: Richard, Nikolaus, Valentin und Kaspar,
willfahrten gern dem kurfürstlichen Ansinnen, ohne
Ahnung, daß aus ihrer Willfährigkeit alsbald das dau-
ernde Recht der »Vorjagd« gefolgert werden würde.
Und dennoch geschah es. Ohne weitere Nachsu-
chung, gestützt auf das plötzlich erklärte Recht »lan-
desherrlicher Vorjagd«, brach im Sommer 1602 das
Jagdgefolge Joachim Friedrichs, des Nachfolgers Jo-
hann Georgs, »mit Hund und Horn« in die Prädikow-
schen Waldungen ein, und das Geklaff von über
200 Rüden lärmte durch den Forst. Ehe der Tag um
war, war das hohe Wild zu Tode gehetzt und der
junge Wildstand vernichtet. Soweit die Romantik. Die
vier Brüder aber, statt ihren Clan zu den Waffen zu
rufen, wurden klagbar beim Obergericht, und als
nach fünfzig oder hundert Jahren der Instanzenzug
zu Ende war, war längst kein Barfus mehr auf Ho-
hen- und Nieder-Prädikow.
1448
Die Barfuse wurden klagbar. Aber wir würden sehr
irren, wenn wir aus diesem Abstehen vom Kampf
gegen die damals schon fest gegründete hohenzol-
lernsche Gewalt etwa den Schluß ziehen wollten, die
vier Barfuse auf Prädikow wären sehr friedliche Leute
gewesen. Sie waren just das Gegenteil davon, was
aus folgendem erhellen mag.
Von den vier Brüdern waren drei, die beiden ältesten
und der jüngste, auf ihren »Höfen« in Prädikow
geblieben, während der dritte Bruder, Valentin, in die
Dienste des Pommernherzogs getreten und dessen
Oberjägermeister geworden war.
Es war um 1610, also acht Jahre nach der Jagd im
»Blumenthal«, als Valentin Barfus auf Besuch nach
Prädikow kam. Es verstand sich von selbst, daß er
von seinen Brüdern der Reihe nach bewirtet wurde.
Der älteste, Richard, der auf dem »roten Hause« in
Nieder-Prädikow saß, hatte natürlich den Vorrang,
und eine tüchtige Zechkumpanei wurde nach Sitte
jener Zeit geladen. Man trank, man jubelte, man
tobte, und, unglaublich zu sagen, man tanzte auch;
denn woher nahm man die Damen ? So kam Mitter-
nacht heran. Um Mitternacht aber legten die Spiel-
leute müd und matt ihre Fiedeln nieder und sagten:
»Wir können nicht mehr!« Da sprang Nikolaus, der
zweite der Brüder, mitten unter sie und schrie, wäh-
rend er mit der Faust drohte: »Weiter, weiter, und
wenn der Teufel selber aufspielen sollte!« Da er-
schien der böse Feind auf dem Ofen, mit der Sack-
pfeife unterm Arm, grinste den Nikolaus an und
spielte auf. Da fürchteten sie sich und ließen den
1449
Pfarrer holen, und als er kam, begannen sie zu beten
und beteten, bis der Sackpfeifer wieder verschwun-
den war.1)
Aber der Teufel war doch im Hause gewesen, und
Unfrieden ließ er zurück. Fehde brach aus zwischen
den Brüdern. Die beiden älteren standen sich im
Zweikampf gegenüber, und auf dem Grasplatz am
Teich, hundert Schritt hinter dem roten Hause, fiel
Richard, der älteste, von der Hand des zweiten Bru-
ders, ebenjenes Nikolaus, der an dem geschilderten
Zechabend den unheimlichen Sackpfeifer herbeigeru-
fen hatte.
Unfriede kam ins Haus und mit ihm jedes Unglück.
Der Dreißigjährige Krieg legte die Felder wüst, und
fünfzig Jahre später war alles in andern Händen. List
und Gewalt hatte den Barfusen ihr altes Erbe ge-
nommen.
In Prädikow ist wenig oder nichts mehr, was an jene
Zeiten erinnerte. Noch unterscheidet man ein Ober-
und
Weitere Kostenlose Bücher