Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Eichen und
Schlingkraut zog in die offenen Tore ein, die Maline-
kens rankten und blühten über Steintrog und Brun-
nen hinweg, und eh ein Jahrhundert um war, war es
ein unheimlicher Ort, eine »verwunschene Stelle«.
Jeder mied sie. Wie es Seen und Seestellen gibt, wo
die Fischer nicht fischen, weil sie fürchten, daß eine
Hand aus der Tiefe fahren und sie herniederzerren
wird, so berührte kein Jäger die Stelle, wo die alte
Stadt gestanden hatte. Rundum tobte die Jagd, die
Kurfürsten selbst erschienen mit »Hund und Horn«,
aber vorüber an der Stadtstelle ging ihr Zug. Und waren Kinder beim Himbeersuchen unerwartet unter
1438
das alte Mauerwerk geraten, so befiel sie's plötzlich
wie bittere Todesangst, und sie flohen blindlings
durch Gestrüpp und Dorn, bis sie zitternd und atem-
los einen sicheren Außenplatz erreichten. Was gab es
da nicht alles zu erzählen! Und so wuchs die Sage
und zog immer festere Kreise um die »Stadt im
Wald«. Selbst das Wild blieb aus, und nur Keiler und
Bache hatten ihre Tummelplätze hier. An den tief
gelegenen Stellen des alten Marktplatzes, wo aus
moderndem Eichenlaub und sickerndem Quellwasser
sich Sumpflandstücke gebildet hatten, kamen die
Wildschweinsherden aus dem ganzen »Blumenthal«
zusammen, und wenn sie dann in Mondscheinnäch-
ten ihre Feste feierten, klang ihr unheimliches Getös
bis weit in den Wald hinein und mehrte die Schauer
des Orts.
So vergingen Jahrhunderte. Die Eichen wurden im-
mer höher, das Gestrüpp immer dichter – die »alte
Stadt« schien verschwunden. Nur um die Winterzeit,
wenn alles kahl stand, wurde das Mauerwerk sicht-
bar. Aber niemand war, der dessen geachtet hätte.
Es waren die Zeiten des Dreißigjährigen Krieges! So
viele Dorf- und Stadtstellen lagen wüst, so viele neue Herde waren zerstört; wer hätte Lust und Zeit gehabt, sich um alte, halbvergessene Zerstörung zu
kümmern?
So kam das Jahr 1689, und mit diesem Jahre tritt die
»alte Stadt«, die bis 1375 ein Stück wirklicher Ge-
schichte gehabt hatte, wieder ins Leben ein. Man
kümmert sich wieder um sie. 1689 besuchte sie Bür-
germeister Grüvel aus Kremmen und fand noch Feld-
1439
steinmauern, die den Boden in Mannshöhe überrag-
ten. Von da ab folgten weitere Besucher in immer
kürzeren Zwischenräumen: Bekmann um 1750, Ber-
nouilli um 1777. Beide fanden Mauerreste und hiel-
ten sie für die Überbleibsel einer alten Stadt. Noch
andere Reisende kamen. Aber ausführlichere Mittei-
lungen gelangten erst wieder zur Kenntnis des Publi-
kums, als im Jahre 1843 der Geistliche des benach-
barten Dorfes Prötzel einen auf genaue Forschung
gegründeten Bericht veröffentlichte. In diesem heißt
es: »Die merkwürdige Stadtstelle Blumenthal ist un-
streitig 1) in alten Zeiten ein menschlicher Wohnort gewesen. Man sieht noch jetzt Spuren von Feldsteinmauern. Vor einigen Jahren sind von den Wald-
arbeitern mehrere Werkzeuge, Hämmer, Sporen und
dergleichen, gefunden worden, die, den Kindern
dann zum Spielen gegeben, leider wieder verloren-
gegangen sind. Kalk wird noch jetzt dort gefunden.
Die Stadt soll von den Hussiten auf ihrem Zuge nach
Bernau zerstört worden sein. Einige meinen, daß die
Zerstörung älter sei. Der große platte Stein innerhalb
der ›Stadtstelle‹, der sogenannte Mark- oder Markt-
stein, ist vielleicht ein Denkmal aus der heidnischen
Zeit. Es ist nicht undenkbar, daß hier, mitten im Ur-
walde, schon die Semnonen einen Volksversamm-
lungsplatz oder eine Opferstätte hatten und daß die
Städtebauer einer späteren Epoche den heidnischen
Opferstein einfach liegenließen, wo er lag, weil es
unmöglich war, ihn fortzuschaffen. Dieser Markstein
wird hier auch noch liegen, wenn von den Feldstein-
mauern ringsumher längst die letzte Spur ver-
schwunden ist. Sollen diese Spuren aber vorläufig
noch gewahrt werden, so ist es die höchste Zeit .
1440
Schon hat die Pflugschar ganze Strecken der ›Stadt-
stelle‹ in Äcker umgewandelt, und der Eichenwald ist
hin, der diese Stelle so lang in seinen Schutz ge-
nommen.«
Soweit der Bericht von 1843. Ich suche nun in nach-
stehendem zu schildern, wie ich zwanzig Jahre spä-
ter die Stadtstelle gefunden habe.
Von einem Wasserpfuhl, der sogenannten »Suhle«,
aus gesehn, hat man nach Osten hin ein wellenför-
miges, hier und da bebautes Stück Land vor sich,
das an einzelnen Stellen von aufgetürmten, sehr
niedrigen Steinmauern eingefaßt,
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