Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Andacht und Stadtklatsch
flossen gleichen Tones über ihre Lippen. Sie zeigte
mir den Gekreuzigten und den einen Schächer, die
beide »wegen Unschönheit« in einen Seitenraum
geschafft worden waren, und erklärte mir die Grab-
steine vorm Altar. Der eine war hellbraun und sehr abgetreten. »Das ist unser Pfefferkuchenmann«,
sagte sie ruhig, und wirklich, das alte Ratsherrnbild
konnte nicht treffender bezeichnet werden. Danach
stiegen wir in einen Keller, drin dieselbe Küstersfrau
während der Franzosenzeit ein tiefes Loch gegraben
1474
und die Kirchengüter versteckt hatte. »Wir fanden
beim Graben nichts als Knochen und Schädel.« Sie
sagte nicht »Knochen und Schädel von heimlich Ver-
scharrten«, aber sie dacht es. Es gehört das mit zur
Volkspoesie.
Dann kletterten wir wieder aufwärts, eine hohe
schmale Treppe hinauf, und befanden uns auf einer
Empore, die man zu einer Art Kunstkammer umge-
schaffen hatte. Allerhand Raritäten waren hier aus-
gestellt. Aber es war doch schon der Übergang von
der Kunstkammer zur Rumpelkammer. Unter andern
entdeckt ich ein Luther-Portrait, dessen kurze Ge-
schichte mich freilich mehr interessierte als das Bild
selbst. Reisende Schauspieler, deren »erster Liebha-
ber« es gemalt hatte, hatten es auf Groschenlose
ausgespielt, und der Gewinner war es durch »Schen-
kung« an die Kirche wieder losgeworden. Daneben
hingen die lebensgroßen Bildnisse dreier Brüder, die
vor längerer oder kürzerer Zeit in Stadt und Kirche
geglänzt hatten. Das Ratsherrnbild trug folgende
Inschrift:
Der Bürger Dankbarkeit und der Zuhörer Pflicht
Hat uns drei Treueren dies Denkbild aufgericht'.
Dort jenes graue Paar stirbt in der Kirche Würde,
Mich macht das Rathaus alt und schwerer Zeiten Bürde.
Was jene bei der Kirch den Seelen Guts gebracht,
Das nahm ich bei der Stadt, nach Menschen Treu, in
acht.
Urteilt uns nach dem Ambt in dem geführten Leben,
1475
So wird ein gutes Lob man uns im Tode geben.
Von Beeskow nach Kossenblatt sind noch anderthalb
Meilen. Ein leichter Wagen nahm mich auf, und in
brennender Sonnenhitze macht ich den Weg. Die
Landschaft war geradezu trostlos, und jedes kom-
mende Dorf erschien noch ärmer als das voraufge-
gangene. Mahlender Sand und Kiefernheide, dazwi-
schen Brach- und Fruchtfelder, die letzteren so
kümmerlich, daß ich meinte die Halme zählen zu
können.
Aber der reizlose Weg wurde mir durch eine Begeg-
nung wert. Etwa eine halbe Meile vor Kossenblatt
bemerkt ich einen Knaben, der auf einem Feldstein
am Wege saß und augenscheinlich sehr ermüdet
war. Er mochte zwölf Jahr alt sein. Ich ließ halten,
und es entspann sich folgendes Gespräch zwischen
ihm und mir:
»Willst du mit?«
»Wo wüllen Se denn hen?«
»Nach Kossenblatt.«
»Da will ick ooch hen.«
Und nun stieg er auf und setzte sich auf den Rand
des Wagens. Mich beschäftigte der kleine Vorfall,
1476
weil er mir so recht wieder jene mißtrauensvolle Vorsicht zeigte, die den märkischen Stamm zum Guten und Schlechten hin so sehr charakterisiert. Er beantwortete meine Frage durch eine Gegenfrage, und
erst als ich diese meinerseits zu seiner Zufriedenheit
erledigt hatte, nahm er an, was ihm freundlich gebo-
ten war.
In Kossenblatt angekommen, ließ ich an einer Stelle
halten, wo die Sehenswürdigkeiten des Dorfes: das
Herrenhaus (jetzt Amtshaus), das Barfus-Schloß und die Kirche , dicht beisammenliegen.
Kossenblatt war immer ein reicher und ausgedehnter
Besitz. In sumpfiger Niederung gelegen (Cossinbloth
heißt »Krummensumpf«), unterschied es sich in alter
Zeit schon vorteilhaft von den Sanddörfern der Höhe,
aber erst von 1581 ab hat es eine Geschichte. Diese
teilte sich seitdem in drei Epochen: in eine Oppen-
sche , eine Barfussche und eine königliche Zeit.
Über die Oppensche Zeit gehen wir schnell hinweg.
1581 kam der brandenburgische Oberkammerherr,
Georg von Oppen, in Besitz von Kossenblatt, bei
dessen Familie es durch drei Generationen hin blieb.
Bis 1699. Vom »Schloß« existierte damals noch kei-
ne Spur, vielmehr bewohnten die Oppen das »alte
Herrenhaus«, dessen Kellergewölbe bis diesen Au-
genblick vorhanden sind und eine Art Sehenswürdig-
keit des im übrigen völlig modernen Amtshauses
bilden. Die hohen, rundbogigen Kellergewölbe sind
aus mittelgroßen, unbehauenen Feldsteinen aufge-
führt, und Sachverständige pflegen hervorzuheben,
1477
daß die Baumeister damals einen andern,
Weitere Kostenlose Bücher