Wanderungen durch die Mark Brandenburg
zeigt am deutlichsten, mit welcher Sorglichkeit
all und jedes eingerichtet war, um die schlechte Lau-
ne des von Gicht und Wassersucht geplagten Königs
nicht noch schlechter zu machen.
Wir haben jetzt das Schloß umschritten und treten
ein. Der Eindruck, den es in seinem Innern macht,
ist der des Stattlichen, aber zugleich der höchsten
Trübseligkeit. Es ist ein imposantes Nichts, eine wür-
devolle Lehre – die Dimensionen eines Schlosses und
die Nüchternheit einer Kaserne. Aber erst in den
Zimmern der Beletage erreicht die Trübseligkeit ih-
ren höchsten Grad. Hechtgrau gestrichene Türen
tragen allerhand Inschriften in gelber Ölfarbe, und
den Korridor des linken Flügels hinunterschreitend,
lesen wir nach der Analogie von Kasernenstube Nr. 3
oder 4: »Ihro Hoheit Kronprinzessin«, »Ihre Hohei-
ten Prinzessin Ulrike und Amalie«, »Ihre Königlichen
Hoheiten Prinz Heinrich und Ferdinand«, »Oberhof-
meisterin«, »Fräuleinskammer« etc. Dazwischen
immer »Garderobezimmer«, aber, sooft wir öffnen,
alles in dieselbe weiße Tünche getaucht.
Wir kehren nun aus dem ersten Stock in das Erdge-
schoß zurück. Hier wohnte der König, und mancher-
lei erinnert noch an seine Neigungen und seine Tä-
tigkeit. In dem großen Eckzimmer des linken Flügels
sind die Wände bis zu beträchtlicher Höhe mit klei-
nen holländischen Kacheln bekleidet: glasierte Täfel-
chen mit blauen Figuren darauf. Dies war ersichtlich
1484
das Staats- und Empfangszimmer, denn über dem
Kamine hängt ein Portrait Ludwigs XIV. in weit nach-
schleppendem Hermelin. Die Farben des Bildes sind
halb abgefallen, aber auch der haftengebliebene Rest
ist immer noch das einzige, was in dem ganzen wei-
ten Schloß an Kunst erinnert und an Genius mahnt.
In demselben Staats- und Empfangszimmer befindet
sich noch ein Dutzend anderer Portraits: die in tor-
mentis gemalten Bilder des Königs selbst. Das Mil-
deste, was man von ihnen sagen kann, ist: sie ver-
leugnen die Stunde ihres Ursprungs nicht. Freilich
haben auch sie ihre Verehrer gefunden. Einige unbedingte Friedrich-Wilhelm-Bewunderer haben die gan-
ze Frage auf das Gebiet der Energie gespielt und von
diesem Standpunkt aus mit einem gewissen Rechte
gesagt: »So malte ein Mann, der nicht malen konnte.
Und so malte er unter Schmerzen und – jeden Tag ein Bild.«
Vor diesem Raisonnement verneigt sich die Kritik.
Alle diese Bilder des Königs rühren aus den Jahren
1736, 1737 und 1738 her. Es sind sämtlich Portraits
(Bruststücke), und zwar einundvierzig an der Zahl,
von denen sich zweiunddreißig in den Zimmern,
neun aber im Korridor befinden. Alle in Rahmen von
geheiztem Eichenholz. So häßlich die Bilder sind und
so unfähig, ein künstlerisches Wohlgefallen zu we-
cken, so wecken sie doch immerhin ein gewisses
künstlerisches Interesse . Der Hang zum Charakteristischen ist unverkennbar. In dem einen Zimmer hän-
gen zum Beispiel zwei seiner Judenköpfe nebenein-
1485
ander. Man sieht deutlich, daß ihm der erste Kopf
nicht jüdisch genug erschienen war und daß er sich
zum zweitenmal an die Arbeit machte, um den nati-
onalen Typus entschiedener herauszuarbeiten. Ein-
mal ist ihm sogar ein hübscher Kopf geglückt: die
Frau seines Ersten Kammerdieners. Hübsch cum
grano salis.
Außer den Bildern des Königs, die neuerdings, wenn
ich nicht irre, nach Königs Wusterhausen hinüberge-
schafft worden sind, bewahrt Schloß Kossenblatt
auch die Staffelei, worauf die Bilder gemalt wurden.
Daneben einen Eichentisch und um den Tisch herum
eine Anzahl schwerer Holzstühle nach Art unserer
jetzigen Gartensessel. Alles solid und primitiv.
Wir durchschnitten endlich auch den Rest des Erdge-
schosses und fanden seine Räume, wie wir die des
ersten Stockes gefunden hatten: groß, öde, weiß.
Dazu hohe Fenster und hohe Kamine. Sie hatten bloß
ein charakteristisches Zeichen, und dieses Zeichen
mehrte nur unser Grauen. In jedem Zimmer lag ein
toter Vogel, in manchem zwei, auch drei. In Sturm-
nächten hatten sie Schutz gesucht in den Rauchfän-
gen, und immer tiefer nach unten steigend, waren
sie zuletzt wie in eine Vogelfalle hineingeraten.
Und hier vergebens einen Ausweg suchend, hin und
her flatternd in dem weiten Gefängnis, waren sie
verhungert.
1486
Spät am Abend mahlte sich unser Fuhrwerk wieder
durch den Sand zurück. Es war kühl geworden, und
der Sternenhimmel gab auch dieser Öde einen poetischen Schimmer.
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