Wanderungen durch die Mark Brandenburg
ge-
kämpft und den lange schwankenden Kampf zur Ent-
scheidung gebracht hatten. Aber es war anders be-
schlossen. Noch eh das Corps die Weichsel über-
schreiten konnte, traf bereits die Nachricht von der
Erstürmung Pragas ein. Warschau, zitternd vor der
eisernen Hand Suworows, hatte seine Tore den Rus-
sen geöffnet. Der Krieg war zu Ende, und nach einer
interimistischen Verwaltung der Provinz (Südpreu-
ßens) nahm der Friedensdienst und das Garnisonle-
ben in den kleinen Städten aufs neue seinen Anfang.
Günther und die Bosniaken, deren Chef er blieb, ka-
men nach Tykoczyn. Von hier aus trat er in Brief-
wechsel mit dem damaligen Kirchenrat, späteren
Bischof Dr. Borowski, demselben, der nach 1806
dem unglücklichen jungen Königspaare (Friedrich
Wilhelm III. und Luise) ein Trost und eine Stütze und
überhaupt durch seine unwandelbare Treue und Zu-
versicht in der Geschichte jener Prüfungsjahre eine
hervorragende Erscheinung wurde. Der Briefwechsel
zwischen Günther und Borowski beginnt 1799 und
dauert fast bis zum Tode des ersteren fort. Einzelne
dieser Briefe sind in den »Preußischen Provinzial-
Blättern« (Königsberg 1836) veröffentlicht worden,
159
Briefe, die uns den frommen und demütigen Sinn des
Generals in schönstem Lichte zeigen.
Die Auszeichnungen drängten sich jetzt. 1795 wurde
Günther Generallieutenant, zwei Jahre später erhob
ihn Friedrich Wilhelm III. (gleich nach seiner Thron-
besteigung) in den Freiherrnstand, und endlich 1802,
nach der Revue, erhielt er den Schwarzen Adleror-
den. Aber nur eine kurze Spanne Zeit noch war ihm
vergönnt, sich dieser Ehren und Auszeichnungen zu
freun. Ein halbes Jahr später, am 22. April 1803,
starb er. Als der Adjutant bei ihm eintrat, fand er
den General am Schreibtisch, den Kopf auf die Seite
geneigt – tot. Der Tod war als ein Längsterwarteter
an ihn herangetreten. Schon am Tage zuvor hatte er
zu sterben geglaubt und bei einer Truppenvorstel-
lung, die er selbst noch leitete, seinen Adjutanten
gebeten, ihm zur Seite zu bleiben, um ihn auffangen
zu können, wenn er vom Pferde stürze. Bis zuletzt
war ihm das »Ich dien« ein Stolz und ein Bedürfnis
gewesen.
Günther war sechsundvierzig Jahre lang Soldat. Sein
Ruhm wurzelt in den Kämpfen von 1794. Wenn trotz
dieser Kämpfe sein Name nicht heller glänzt, so liegt
das in einer Verkettung von Umständen, unter deren
Ungunst manche hervorragende Kraft jener Zeit und
speziell jener polnischen Kämpfe zu leiden gehabt
hat. Der Krieg war unpopulär, und die Schroffheit
Suworows, die des Guten in derselben Weise zu viel
tat, wie die oberste Leitung preußischerseits (freilich ohne Verschulden unseres Günthers) zu wenig getan hatte, war nicht geeignet, dem Kampfe gegen Polen
160
eine ihm fehlende Teilnahme zu wecken. Man schäm-
te sich fast des Krieges, und die Tat des einzelnen litt unter dem Mißkredit, in dem das Ganze stand. Dies
würde vollauf genügen, um das Vergessensein
ruhmvoller Aktionen aus dem Jahre 1794 erklärlich
zu machen, aber was recht eigentlich in diesem Sin-
ne wirkte, war doch ein anderes noch. Und kaum ist
es nötig, dieses andre zu nennen. Der Untergang des
alten und das Wiedererstehn eines neuen Preußens waren Weltereignisse, die, nach Art einer Flut, die
Marksteine einer unmittelbar voraufgegangenen klei-
nen Geschichtsepoche hinwegspülten. Es ist Aufgabe
späterer Zeiten, solche in Triebsand begrabenen
Denksteine wieder aufzurichten. Und dazu sollten
diese Zeilen ein Versuch sein.
Günthers eigentlichste Bedeutung scheint übrigens
nach dem übereinstimmenden Urteile seiner Zeitge-
nossen vor allem in seiner Persönlichkeit gelegen zu haben. Boyen preist ihn auf jeder Seite, und da junge Adjutanten gewöhnlich diejenigen sind, die ihrem
alten General (und oft mit nur zu gutem Grund) am
wenigsten Bewunderung entgegentragen, so sind wir
wohl zu dem Schlusse berechtigt, daß in diesem Fall
eine siegende Gewalt vorlag, die alles Bekritteln tot-
machte. Etwas Mysteriöses , das um und an ihm war, steigerte dabei sein Ansehen nicht wenig. Es hieß
von ihm, daß er die drei Gelübde der Keuschheit, der
Armut und des Gehorsams abgelegt habe. Und daß
dies von jedem geglaubt wurde, zeigt am besten,
wie sein Leben war. Es hieß, daß er nie ein Weib be-
rührt habe, »drum sei er so gewaltig von Körper«.1)
Das Gelübde der Armut hielt er nicht minder treu.
161
Von seinem reichen Gehalt nahm er
Weitere Kostenlose Bücher