Wanderungen durch die Mark Brandenburg
fällt einem das Los zu, sich zu helfen,
so gut es geht. Das erste ist, daß alle Schallö-
cher geöffnet werden, die nun natürlich einen
Zug herstellen, als sollte Wäsche getrocknet
werden, während es dem vom Treppensteigen
Erhitzten wie der Tod über den Röcken läuft.
Nun sind die Schallöcher auf, und das Licht
dringt ein, aber entweder die Distance oder
die gotischen Buchstaben oder gar der
Schwalbenguano spotten noch immer der
Entzifferungskunst des unten Stehenden, der
sich nun genötigt sieht, die Reste seiner Tur-
nerschaft hervorzusuchen. Erst ein Griff nach
dem Oberbalken, dann ein Schwung in das
Kreuzgebälk hinein – so, halb hängend, halb
stehend, beginnt die Lektüre. Ist nun ein ge-
fälliger Küster, dem sich Wort für Wort diktie-
ren läßt, mit in den Turm hinaufgestiegen, so
kann das Schlimmste der Expedition als über-
standen angesehen werden, hat er aber, aus
diesem oder jenem Grunde, seine kleine
Tochter mit hinaufgeschickt, so bleibt einem
schließlich nichts anders übrig, als sich, wie
der Glöckner von Notre-Dame, seitwärts auf
die Glocke zu werfen und, die »große Marie«
1556
fest umarmend, auf dem erzenen Nacken
derselben die Inschrift abzuschreiben.
Am Werbellin
Ihre Dächer sind gefallen,
Und der Wind streicht durch die Hallen,
Wolken ziehen drüber hin.
Franz Kugler
Und eh der Mittag kam, da lag
Haufweis das Wild erschlagen.
»Chevy-Jagd«
Eine halbe Meile nördlich von Lichterfelde, schon auf
uckermärkischem Grund und Boden, begegnen wir
dem sagenreichen Werbelliner See, auch wohl in
Kürze »der Werbellin« geheißen. Ein Zauber ist um
ihn her, und was der »Blumenthal« unter den Fors-
ten ist, das ist der Werbellin unter den Seen dieses
Landesteiles.
Es scheint, als ob alle Welt, auch in alten Tagen
schon, ein Ohr für den Wohlklang dieses Namens
gehabt habe, denn alles, was um den See herum
gelegen ist, hat den Namen von ihm entlehnt, und
wir unterscheiden außer dem eigentlichen »Werbel-
1557
lin« noch eine Stadt , ein Dorf und ein Schloß gleiches Namens, woran sich dann schließlich der Werbelliner
Forst reiht, dessen wir schon früher, als des kostbarsten Jagdgrundes der Hohenzollern, gedacht ha-
ben.
Stadt Werbellin
Sie soll an der Stelle des jetzigen Sees gestanden
haben, so daß wir hier – wenn der Überlieferung ir-
gend etwas Reales zugrunde liegt – einen jener
»Erdfälle« anzunehmen hätten, über deren Art und
Vorkommen ich in dem »Buckow«-Kapitel ausführli-
cher gesprochen habe. Das Terrain indes ist hier ein
wesentlich andres und macht einen Erdfall um vieles
weniger glaubhaft. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat
eine Stadt Werbellin niemals existiert. Wenn Fisch-
bach von zwei alten, im Rathause zu Neustadt-
Eberswalde befindlichen Urkunden spricht, die das
Datum des Sankt-Gregors-Tages 1306 und des
19. Februar 1319, als Ausstellungsort aber den Na-
men Werbellin tragen, so steht jetzt fest, daß damit das Schloß Werbellin, nicht aber die sagenhafte Stadt gleiches Namens gemeint gewesen ist.
Dorf Werbellin
Ist neueren Datums. Eine halbe Meile südlich vom
See gelegen, zählt es zu den Pfälzerkolonien, die
1558
1748 in der Mark angelegt wurden. Es trägt seinen
poetischen Namen ziemlich unverdient.
Schloß Werbellin
Es lag an der Südwestspitze des Sees1), höchstwahr-
scheinlich auf einer Landzunge, die, mittelst eines
Durchstichs, in eine schwer zugängliche Insel umge-
wandelt wurde. Das war um 1247, und es scheint,
daß es unter allen markgräflichen Schlössern jener
Epoche nicht nur das größte, sondern auch ein be-
vorzugter Aufenthalt mehrerer unter den Askaniern
war. Hier wurden die schon oben erwähnten Urkun-
den ausgestellt und wohl viele andre mit ihnen. Von
Schloß Werbellin aus schickte Markgraf Waldemar
seinen Kanzler Nikolaus von Buch an den Rhein, als,
nach Kaiser Heinrichs VII. Tode, ein neuer Kaiser
gewählt werden sollte, und gab ihm, wie wir heute
sagen würden, carte blanche, zu wählen nach sei-
nem Ermessen. Nikolaus von Buch gab seine Stimme
an Ludwig den Bayer, an den einzigen, an den er sie,
nach dem stillen Wunsche Waldemars, nicht geben sollte. Der empörte Markgraf, so heißt es, ließ den
zurückkehrenden Kanzler nach dem nah gelegenen
Schloß Grimnitz 2) bringen, ihn dort in den Kerker werfen und verhungern. Die Sage fügt hinzu, der
Markgraf habe täglich frische Äpfel vor das vergitter-
te Fenster legen
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