Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
fällt einem das Los zu, sich zu helfen,
    so gut es geht. Das erste ist, daß alle Schallö-
    cher geöffnet werden, die nun natürlich einen
    Zug herstellen, als sollte Wäsche getrocknet
    werden, während es dem vom Treppensteigen
    Erhitzten wie der Tod über den Röcken läuft.
    Nun sind die Schallöcher auf, und das Licht
    dringt ein, aber entweder die Distance oder
    die gotischen Buchstaben oder gar der
    Schwalbenguano spotten noch immer der
    Entzifferungskunst des unten Stehenden, der
    sich nun genötigt sieht, die Reste seiner Tur-
    nerschaft hervorzusuchen. Erst ein Griff nach
    dem Oberbalken, dann ein Schwung in das
    Kreuzgebälk hinein – so, halb hängend, halb
    stehend, beginnt die Lektüre. Ist nun ein ge-
    fälliger Küster, dem sich Wort für Wort diktie-
    ren läßt, mit in den Turm hinaufgestiegen, so
    kann das Schlimmste der Expedition als über-
    standen angesehen werden, hat er aber, aus
    diesem oder jenem Grunde, seine kleine
    Tochter mit hinaufgeschickt, so bleibt einem
    schließlich nichts anders übrig, als sich, wie
    der Glöckner von Notre-Dame, seitwärts auf
    die Glocke zu werfen und, die »große Marie«

    1556
    fest umarmend, auf dem erzenen Nacken
    derselben die Inschrift abzuschreiben.

    Am Werbellin

    Ihre Dächer sind gefallen,
    Und der Wind streicht durch die Hallen,
    Wolken ziehen drüber hin.
    Franz Kugler
    Und eh der Mittag kam, da lag
    Haufweis das Wild erschlagen.
    »Chevy-Jagd«

    Eine halbe Meile nördlich von Lichterfelde, schon auf
    uckermärkischem Grund und Boden, begegnen wir
    dem sagenreichen Werbelliner See, auch wohl in
    Kürze »der Werbellin« geheißen. Ein Zauber ist um
    ihn her, und was der »Blumenthal« unter den Fors-
    ten ist, das ist der Werbellin unter den Seen dieses
    Landesteiles.
    Es scheint, als ob alle Welt, auch in alten Tagen
    schon, ein Ohr für den Wohlklang dieses Namens
    gehabt habe, denn alles, was um den See herum
    gelegen ist, hat den Namen von ihm entlehnt, und
    wir unterscheiden außer dem eigentlichen »Werbel-

    1557
    lin« noch eine Stadt , ein Dorf und ein Schloß gleiches Namens, woran sich dann schließlich der Werbelliner
    Forst reiht, dessen wir schon früher, als des kostbarsten Jagdgrundes der Hohenzollern, gedacht ha-
    ben.

    Stadt Werbellin
    Sie soll an der Stelle des jetzigen Sees gestanden
    haben, so daß wir hier – wenn der Überlieferung ir-
    gend etwas Reales zugrunde liegt – einen jener
    »Erdfälle« anzunehmen hätten, über deren Art und
    Vorkommen ich in dem »Buckow«-Kapitel ausführli-
    cher gesprochen habe. Das Terrain indes ist hier ein
    wesentlich andres und macht einen Erdfall um vieles
    weniger glaubhaft. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat
    eine Stadt Werbellin niemals existiert. Wenn Fisch-
    bach von zwei alten, im Rathause zu Neustadt-
    Eberswalde befindlichen Urkunden spricht, die das
    Datum des Sankt-Gregors-Tages 1306 und des
    19. Februar 1319, als Ausstellungsort aber den Na-
    men Werbellin tragen, so steht jetzt fest, daß damit das Schloß Werbellin, nicht aber die sagenhafte Stadt gleiches Namens gemeint gewesen ist.

    Dorf Werbellin
    Ist neueren Datums. Eine halbe Meile südlich vom
    See gelegen, zählt es zu den Pfälzerkolonien, die

    1558
    1748 in der Mark angelegt wurden. Es trägt seinen
    poetischen Namen ziemlich unverdient.

    Schloß Werbellin
    Es lag an der Südwestspitze des Sees1), höchstwahr-
    scheinlich auf einer Landzunge, die, mittelst eines
    Durchstichs, in eine schwer zugängliche Insel umge-
    wandelt wurde. Das war um 1247, und es scheint,
    daß es unter allen markgräflichen Schlössern jener
    Epoche nicht nur das größte, sondern auch ein be-
    vorzugter Aufenthalt mehrerer unter den Askaniern
    war. Hier wurden die schon oben erwähnten Urkun-
    den ausgestellt und wohl viele andre mit ihnen. Von
    Schloß Werbellin aus schickte Markgraf Waldemar
    seinen Kanzler Nikolaus von Buch an den Rhein, als,
    nach Kaiser Heinrichs VII. Tode, ein neuer Kaiser
    gewählt werden sollte, und gab ihm, wie wir heute
    sagen würden, carte blanche, zu wählen nach sei-
    nem Ermessen. Nikolaus von Buch gab seine Stimme
    an Ludwig den Bayer, an den einzigen, an den er sie,
    nach dem stillen Wunsche Waldemars, nicht geben sollte. Der empörte Markgraf, so heißt es, ließ den
    zurückkehrenden Kanzler nach dem nah gelegenen
    Schloß Grimnitz 2) bringen, ihn dort in den Kerker werfen und verhungern. Die Sage fügt hinzu, der
    Markgraf habe täglich frische Äpfel vor das vergitter-
    te Fenster legen

Weitere Kostenlose Bücher