Wanderungen durch die Mark Brandenburg
lassen, um durch den Anblick der
Labefrucht die Qual des Unglücklichen zu steigern.
1559
1319 starb Markgraf Waldemar, und es kam eine
wilde, herrenlose Zeit. Auch Schloß Werbellin sank
von seiner Höhe; noch im Laufe desselben Jahrhun-
derts, oder doch spätestens zu Beginn des nächstfol-
genden, wurd es zerstört. Der eine Bericht sagt,
»durch die Litauer«, ein andrer nennt die Quitzows,
die gemeinschaftlich mit dem Ruppiner Grafen die
Burg angegriffen hätten. Ihr Zug richtete sich gegen
Chorin. Auf dem Felde zwischen Lichterfelde und
dem Werbelliner See wird noch die Stelle gezeigt, wo
der Abt von Chorin den Siegern entgegenkam und
mit ihnen über gute Bedingungen verhandelte.
Der Werbelliner Forst
Aus Gründen besserer Verwaltung hat man ihn in
eine westliche und östliche Hälfte geteilt, die nun den Namen »Groß-Schönebecker und Grimnitzer Forst«
führen. Als Waldgrund mag er innerhalb unsrer Mar-
ken überflügelt werden, als Jagdgrund steht er einzig da. Ein Teil des Forstes, die sogenannte Schürf- oder
Schorfheide, die sich eine halbe Meile lang am Nord-
westufer des Sees entlangzieht, dient eigens dem
Zwecke, das Wild zu pflegen, also den Rest des Fors-
tes in einen desto reicheren und besseren Jagdgrund
zu verwandeln. Der nahe See mit seinem kostbar
klaren Wasser (eine Folge seiner Kalk- und Tongrün-
digkeit) eignet sich zur Tränke, während außerdem
Brunnen in den Wald gegraben sind und überall aus-
gebreitete Heu- und Moosbetten über die Gefahren
und Beschwerden des Winters hinweghelfen. Und das
1560
alles nur sehr ausnahmsweise mit der hinterlistigen
Absicht, den heute noch gehegten und gepflegten
Hirsch bei nächster Gelegenheit ins Blatt zu treffen.
Denn der Wildstand hier entspricht einer Paradetrup-
pe. Letzlingen, so heißt es, ist für den Gebrauch , Werbellin und Grimnitz aber sind für die Repräsentation . Dort jagen die Hohenzollern um des Jagens willen; im Werbellin jagen sie nur an Fest- und Gala-tagen, um ihren Gästen zu zeigen, was hohe Jagd in
den Marken sei.
Letzlingen nichtsdestoweniger ist ein Rival, und in
dieser und jener Branche sogar ein siegreicher. Aber
an Rotwild bleibt Werbellin à la tête. Seine Forsten umschließen 3000 Hirsche, die größte Zahl, die, soweit die Kenntnis davon reicht, an irgendeinem
Punkte der Welt, innerhalb eines abgegrenzten Re-
viers gehalten wird.3) Hier war denn auch, wie selbst-
verständlich, der Platz, wo sich die Zahl der getöte-
ten Hirsche (denn trotz des Prinzips der Schonung
müssen die alten weggeschossen werden) auf eine
Höhe bringen ließ, die selbst von den Taten des Coo-
perschen »Hirschtöters« schwerlich erreicht worden
ist. Der jetzt im Potsdamer Wildpark angestellte
Wildmeister Grußdorf war dreißig oder vierzig Jahre
lang Förster im Werbelliner Forst, und die Leute ver-
sichern von ihm, daß er derjenige Jäger sei, der in
seinem Leben die meisten Hirsche geschossen habe.
Er kannte nicht nur alle, die überhaupt da waren, er fand auch alle, die er finden wollte, und traf alle, die er treffen wollte. Nur vom bayrischen Grafen Arco
heißt es, daß er unsrem Grußdorf als »Hirschtöter«
möglicherweise gleichgekommen sei.
1561
Im Werbelliner Forst befinden sich 3000 Hirsche. Nur
um die Brunstzeit, etwa von Mitte September bis
Mitte Oktober, umschließt er noch 1000 mehr. Dann
erscheinen die Wanderhirsche . Sie kommen aus den benachbarten Landesteilen, aus Mecklenburg,
Pommern, Schlesien, selbst aus Polen und Ostpreu-
ßen, also bis 100 Meilen weit. Alle diese Gegenden,
namentlich die nordöstlich gelegenen, haben weniger
Weibchen in ihren Wäldern, und dieser Umstand
treibt die männlichen Hirsche westwärts und speziell
an das Seeufer des Werbellin. Hier ist dann Rendez-
vous, »Convivium«, wie es die Leute nennen. Weil
der Weg weit und die Fährlichkeit der Reise groß ist,
so machen sich nur die stärksten Tiere auf den Weg,
wissen auch wohl, daß sie als Eindringlinge kommen
und daß es ohne schwere Kämpfe, ohne den ganzen
Zorn erwachter Eifersucht nicht abgehen wird. Diese
Kämpfe finden denn auch jedesmal statt, aber über-
raschenderweise selten mit den eigentlichen Herren
des Forsts, sondern gemeinhin unter den Herbeige-
kommenen selbst. Sie fechten Eindringling gegen
Eindringling, etwa Pole gegen Ostpreuße oder Schle-
sier gegen Pommer, und das Resultat ihrer Streitig-
keiten pflegt in den meisten Fällen das zu sein,
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